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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Multimorbidität und mentales Wohlbefinden im Kontext sozialer Faktoren – „Kann soziale Unterstützung den Zusammenhang zwischen Multimorbidität und mentalem Wohlbefinden positiv beeinflussen?“

Meeting Abstract

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  • Ibrahim Demirer - Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), Universität zu Köln, Versorgungsforschung, Köln, Germany
  • Matthias Bethge - UK-Schleswig-Holstein, Lübeck, Germany; Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Rehabilitation und Arbeit, Lübeck, Germany
  • Holger Pfaff - Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), Universität zu Köln, Rehabilitationswissenschaft, Köln, Germany
  • Ute Karbach - TU Dortmund, Fachgebiet Rehabilitationssoziologie, Dortmund, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf387

doi: 10.3205/19dkvf387, urn:nbn:de:0183-19dkvf3872

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Demirer et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Der Zusammenhang zwischen Multimorbidität und sozialen Faktoren, wie z.B. Einsamkeit und sozialer Unterstützung, ist bislang wenig untersucht. In zunehmendem Maße wird deutlich, dass diese Faktoren als Kontributoren für Mortalität und Morbidität gelten. Metaanalysen haben gezeigt, dass soziale Faktoren wie subjektive Einsamkeit und objektive Isolation mit einem durchschnittlichen 28–32% höheren Mortalitätsrisiko in Verbindung stehen [1].

Die Mechanismen, die dem Zusammenhang zugrunde liegen, können in verhaltensbezogen, psychologisch und physisch unterteilt werden [2]. In ihrer Wirkung sind sie aber interdependent, von sozialen Faktoren beeinflusst und komplex.

Exemplarisch wirkt soziale Unterstützung auf das mentale Wohlbefinden, indem ein Umfeld geschaffen wird, das negative Einflüsse kompensiert („Buffering Hypothesis“) [3].

Mit Fokus auf Multimorbidität und mentales Wohlbefinden gewinnt dieser Prozess an Relevanz, weil Multimorbidität einen negativen Einfluss auf das mentale Wohlbefinden darstellt, an dem zugleich nicht ursächlich angesetzt werden kann. Dadurch erhöht sich der Bedarf an kompensatorischen Faktoren, die an psychologischen, physischen und/oder verhaltensbezogenen Mechanismen ansetzen.

Als ein solcher Faktor kann die soziale Unterstützung erachtet werden.

Eine negative Dyadik aus Multimorbidität und sinkendem mentalem Wohlbefinden kann demnach durch die Stärkung sozialer Faktoren durchbrochen werden.

Fragestellung: Ziel der vorliegenden Studie ist es, Licht auf den Kausalprozess zwischen Multimorbidität und mentalem Wohlbefinden zu werfen.

Im Spezifischen wird die Frage gestellt, ob soziale Unterstützung negative Einflüsse der Multimorbidität auf das mentale Wohlbefinden kompensieren kann?

Methode: Als Datengrundlage für die Analysen dient das „Dritte Sozialmedizinische Panel für Erwerbspersonen – Rehabilitation und Teilhabe“ (GSPE-III).

Die Daten erhoben diverse Merkmale, so z.B. Anzahl und Art der Erkrankungen, mentales Wohlbefinden (SF-36) und soziale Unterstützung (Oslo-3) zu je drei Messzeitpunkten (2013/N=3294, 2015/N=2223, 2017/N=2108).

Die Daten ermöglichen die Anwendung längsschnittlicher Mediationsanalysen mittels Strukturgleichungsmodellen (SEM) [4].

Theoriebasiert wurden verschiedene Strukturgleichungsmodelle hergeleitet und empirisch getestet.

Ergebnis: In allen längsschnittlichen Strukturgleichungsmodellen wurden signifikante (p < 0.00; N~1500) indirekter Effekte geschätzt.

Die Effektgrößen variieren jedoch stark in Abhängigkeit der Modellspezifikation und des zeitlichen „Lags“ der den Pfaden zugrunde gelegt wird.

Die stärksten Mediationseffekte wurden bei der Schätzung synchroner Effekte ermittelt (ca. 40% Mediation des Gesamteffektes).

Die schwächste Mediation wurde in einem Full-Cross-Lagged-Panel-Model (CLPM) ermittelt (ca. 12% Mediation).

Alle Modelle wiesen zwar einen hohen Model-Fit auf (CFI > 0.90; SRMR < 0.08), unterliegen aber unterschiedlichen theoretischen Annahmen bzgl. des Kausalprozesses [5].

Diskussion: Die Ergebnisse bestätigen einerseits, dass soziale Unterstützung ein Mediator des Effekts von Multimorbidität auf mentale Gesundheit ist.

Andererseits wird deutlich, dass für die kausal-empirische Überprüfung von Mediationseffekten eine präzise Überführung der Wirkmodelle in die Empirie von Nöten ist.

Praktische Implikationen: Eine Besserung der physischen Situation ist bei multimorbiden Personen i.d.R. nicht gegeben, umso wichtiger ist eine Stabilisierung des mentalen Wohlbefindens der Betroffenen.

In diesem Kontext gewinnen soziale Faktoren, wie soziale Unterstützung, besondere Bedeutung. Versorgungsinterventionen, die zum Ziel haben, die Versorgung von Multimorbiden zu verbessern, müssen den Kontext der sozialen Faktoren zumindest berücksichtigen oder gar an diesem ansetzen.

Gleichzeitig müssen Versorgungsforscher, die an einer Evaluation etwaiger Interventionen und Kontexte interessiert sind, theoretische Wirkmodelle konzipieren und diese anhand adäquater empirischer Modelle überprüfen.


Literatur

1.
Holt-Lunstad J, Smith TB, Baker M, Harris T, Stephenson D. Loneliness and social isolation as risk factors for mortality: a meta-analytic review. Perspectives on Psychological Science. 2015;10(2):227-237.
2.
Kawachi I, Berkman LF. Social ties and mental health. Journal of Urban Health. 2001;78(3):458-467.
3.
Cohen S, Wills TA. Stress, social support, and the buffering hypothesis. Psychological Bulletin. 1985;98(2):310.
4.
Cole DA, Maxwell SE. Testing mediational models with longitudinal data: questions and tips in the use of structural equation modeling. Journal of Abnormal Psychology. 2003;112(4):558.
5.
Newsom JT. Longitudinal structural equation modeling: A comprehensive introduction. Routledge; 2015.