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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Entwicklung eines Präventionsprogramms für psychische Erkrankungen im Primarbereich – Umsetzbarkeit und praktische Implikationen

Meeting Abstract

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  • Maria Koschig - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Leipzig, Germany
  • Ines Conrad - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Leipzig, Germany
  • Steffi G. Riedel-Heller - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Leipzig, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf382

doi: 10.3205/19dkvf382, urn:nbn:de:0183-19dkvf3827

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Koschig et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Ergebnisse der BELLA-Studie zeigen, dass bei etwa jedem fünften Kind oder Jugendlichen (ca. 18% bis 20%) im Alter von 3 bis 17 Jahren ein Klärungsbedarf besteht in Bezug auf das Vorliegen einer psychischen Auffälligkeit. Bei etwa 10% bestehen deutliche Hinweise auf psychische Auffälligkeiten. Die individuellen Beeinträchtigungen und gesellschaftlichen Kosten, die dadurch entstehen, sind enorm. Angesichts dieser Evidenzen wird von der WHO dringend empfohlen, spezielle präventive Maßnahmen für Heranwachsende zu implementieren. Psychische Erkrankungen bei Kindern bilden in Deutschland bislang keinen Hauptfokus in der Benennung und Umsetzung von Präventions- und Gesundheitszielen.

Die BELLA-Studie zeigt weiterhin, dass eine Diskrepanz besteht: Eltern und Lehrkräfte nehmen Kinder mit externalisierenden Auffälligkeiten (Störungen des Sozialverhaltens, ADHS) schneller wahr als Kinder, die internalisierende Auffälligkeiten (Symptome einer Depression oder Angststörung) aufweisen. Dieser Befund ist in Hinblick auf die Inanspruchnahme von Hilfs- und Versorgungsangeboten bedeutsam. Der Verein „Irrsinnig Menschlich e.V.“ entwickelte auf Grundlage seines bereits etablierten Präventionsprogramms „Verrückt? Na und!“, das Modellprogramm „Psychisch fit in der Grundschule“, welches psychische Krisen im Primarstufenalter unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede klassenweise an zwei Projekttagen besprechbar machen und Hilfesuchverhalten stärken soll. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist neben der Überprüfung der Umsetzbarkeit, die Ermittlung von Kritik, Hürden und Verbesserungsmöglichkeiten des ersten Entwurfs des Programms.

Fragestellung:

1.
Wie bewerten die teilnehmenden Lehrkräfte die Umsetzbarkeit des Modellvorhabens?
2.
Welche Verbesserungen & Anpassungen sind aus Sicht der Lehrkräfte vorzunehmen?

Methode: Evaluation mit qualitativer Methodik. Hierzu wurden vier teilnehmende Lehrkräfte und eine teilnehmende Schulbegleiterin telefonisch, leitfadengestützt befragt. Das erste telefonische Interview fand 1–2 Wochen nach Programmabschluss statt; ein zweites verkürztes Interview 2-3 Monaten später. In der Befragung wurden neben soziodemografischen Angaben Einstellungen zur Prävention psychischer Gesundheit bei Schülern, Ansprüche an ein Präventionsprogramm im Primarbereich, bisherige Erfahrungen mit psychischen Krisen von Grundschülern und schließlich die Bewertung des Programms „Psychisch fit in der Grundschule“ erfasst. Es nahmen drei Schulen mit dritter und vierter Klasse teil. Alle Angaben wurden auf Diktiergerät aufgezeichnet, protokolliert und zusammengefasst.

Ergebnisse: Die Ergebnisse der Befragungsrunde 1 zeigen eine hohe Zufriedenheit der Lehrkräfte mit dem Modellprogramm bei gleichzeitig wenig bis keiner Vergleichsmöglichkeit zu einem ähnlichen Präventionsprogramm für den Primarbereich. Die Lehrkräfte berichteten, dass das Programm in den ersten Tagen nach Programmabschluss präsent bei den SchülerInnen war; so zum Beispiel im Morgenkreis. Weiterhin positiv erwähnt wurde die Offenheit der SchülerInnen an den Programmtagen. Geschlechterunterschiede wurden zwar genannt, aber für eine Überarbeitung des Programms nicht gefordert.

Änderungswünsche bezogen sich auf Aspekte wie: Gruppengröße (kleine Gruppen), zwei Moderatoren, stärkere Berücksichtigung kürzerer Aufmerksamkeitsspannen der Drittklässler im Vergleich zu den Viertklässlern, inhaltlich stärkeres Anknüpfen des zweiten Projekttages an den ersten, unterschiedliche Materialien für Dritt- und Viertklässler. Sehr eindrücklich haben die Erprobung sowie die Befragung ergeben, dass die kognitiven Unterschiede zwischen den Klassenstufen im Primarbereich enorm sind.

Diskussion: Das Programm „Psychisch fit in der Grundschule“ konnte bereits in seiner ersten Modellphase in dritten und vierten Klassen umgesetzt werden. Die SchülerInnen sind mit den Moderatoren ins Gespräch gekommen und haben von eigenen Belastungen und Stärken berichtet. Die großen Klassenformate von zum Teil über 25 SchülerInnen haben die Erarbeitung individueller Themen erschwert; vor allem bei den Drittklässlern im Vergleich zu den Viertklässlern. Der Programmtag 1 bietet viele individuelle Themen, die im Programmtag 2 aufgegriffen werden können. Dieses Potenzial wurde von den Moderatoren noch nicht erschöpfend genutzt, wodurch teilweise auch der „rote Faden“ verloren ging.

Praktische Implikation: Ein Präventionsprogramm im Primarbereich für psychische Krisen sollte unbedingt eng an die jeweiligen Altersstufen angepasst werden. Geschlechterunterschiede scheinen hier noch keine praktische Rolle zu spielen. Die Lehrkräfte als ein Hauptansprechpartner der Grundschüler (vor allem der/die Klassenlehrer/in sind in die Programme einzubeziehen. Auch in diesem Alter ist auf Individualität bei der Erarbeitung von Fertigkeiten, Schwierigkeiten und Lösungen zu achten.