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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Forschungsprioritäten von Patient*innen, Angehörigen und Versorgenden – eine systematische Übersichtsarbeit

Meeting Abstract

  • Mona Voigt-Barbarowicz - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften, Department für Versorgungsforschung, Nachwuchsgruppe Rehaforschung, Oldenburg, Germany
  • Michael Levelink - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften, Department für Versorgungsforschung, Nachwuchsgruppe Rehaforschung, Oldenburg, Germany
  • Anna Levke Brütt - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften, Department für Versorgungsforschung, Nachwuchsgruppe Rehaforschung, Oldenburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf356

doi: 10.3205/19dkvf356, urn:nbn:de:0183-19dkvf3569

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Voigt-Barbarowicz et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Betroffene gelten aufgrund subjektiver Erfahrungen als Expert*innen ihrer Erkrankung. Daher können sie relevante Probleme und wichtige Themen für die Versorgungsforschung benennen. Zur Erfassung der Forschungsinteressen von Betroffenen, Angehörigen und Versorgenden können Fokusgruppen oder Interviews, zu ihrer Bewertung Abstimmungsübungen eingesetzt werden. In England hat sich die systematische Methode der James Lind Alliance (JLA) etabliert, bei der Fragen zu bestimmten Gesundheitsproblemen mit Betroffenen und Behandler*innen identifiziert und in Workshops bewertet werden. Bisherige Übersichtarbeiten zu Forschungsthemen von Patient*innen schlossen zur Analyse entweder nur Studien mit der JLA-Methode ein oder stellten die Beteiligung von Patient*innen nicht genau dar. Weiterhin fehlte eine umfangreiche inhaltliche Analyse der priorisierten Forschungsthemen.

Fragestellung: Die Fragestellung lautet: Welche inhaltlichen Dimensionen umfassen durch Patient*innen, Angehörige und Versorgende priorisierte Forschungsthemen?

Methode: Im Mai 2018 wurde in den Datenbanken PubMed, Scopus, PsycINFO eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Nach einem Titel- und Abstract- sowie Volltextscreening wurden in die Auswertung Studien eingeschlossen, die eine Identifizierung und Priorisierung von Forschungsthemen durch Patient*innen, Angehörige und Versorgende berichteten. Weiterhin sollte sich die Fragestellung der Studie auf ein Forschungsthema für ein spezifisches ICD-kodiertes Gesundheitsproblem beziehen und die Stichprobe (min. 33%) musste von dem Gesundheitsproblem selbst oder als Angehörige*r betroffen sein. Das Screening wurde von zwei unabhängigen Rater*innen durchgeführt, bei Unstimmigkeiten wurde eine dritte Raterin herangezogen.

In die qualitative, thematische Analyse wurden die ersten zehn priorisierten Forschungsthemen jeder Studie einbezogen. Forschungsthemen wurden nicht doppelt kodiert. Bildete ein Forschungsthema mehrere inhaltliche Aspekte ab, so wurde nur der erst genannte Inhalt kodiert. In einem induktiven Vorgehen kodierten die drei Autor*innen die Forschungsthemen unabhängig voneinander und diskutierten Unstimmigkeiten, so dass in einem iterativen Prozess ein Kategoriensystem mit Haupt- und Unterkategorien entstand.

Ergebnisse: Die Datenbankenrecherche identifizierte 10572 Treffer, nach Abzug der Duplikate verblieben 8036 Treffer. Nach dem Titel- und Abstract-Screening wurden 223 Studien in das Volltext-Screening eingeschlossen. 34 Studien erfüllten die Einschlusskriterien und wurden in die Übersichtsarbeit aufgenommen. Alle eingeschlossenen Studien wurden in westlichen Ländern durchgeführt, davon 17 in Großbritannien. In der Stichprobe verwendeten 17 Studien die JLA-Methode, 17 Studien verwendeten unterschiedliche Methoden zur Identifizierung und Priorisierung von Forschungsthemen, wie Gruppendiskussionen, Interviews und Workshops, sowie Umfragen, Abstimmungsübungen und Konsenssitzungen. Patient*innen waren von Gesundheitsproblemen betroffen, die den Neubildungen (C00-D48), psychischen Erkrankungen (F00-F99) und Krankheiten des Urogenitalsystems (N00-N99) der ICD zuzuordnen sind.

Pro Studie wurden 5 bis 29 Forschungsthemen priorisiert. Insgesamt wurden 332 Forschungsthemen inhaltlich ausgewertet.

Eine Hauptkategorie des Kategoriensystems umfasst Aspekte der „Behandlung“, wie die Wirksamkeitsforschung, Neuentwicklung und Überwachung von Behandlungsmethoden. Eine weitere Kategorie wird unter „Patient*innen“ zusammengefasst und beschreibt das Gesundheits- und Krankheitsverhalten, die Bewältigung und das soziale Umfeld eines*r Betroffenen. Die Hauptkategorie „Gesundheitsproblem“ fokussiert pathologische Aspekte einer Erkrankung und die Hauptkategorie „Behandelnde“ beinhaltet Aspekte der Behandelnden selbst, wie Fachwissen, Arbeitsbedingungen oder Gesundheitsprofessionen. Die meisten kodierten Forschungsthemen wurden der Hauptkategorie „Behandlung“ zugeordnet. In 11 Studien fokussierte mindestens die Hälfte der priorisierten Forschungsthemen diese Hauptkategorie. In jeder Priorisierungsliste der 17 JLA- Studien bezog sich mindestens ein Forschungsthema auf die Hauptkategorie „Behandlung“.

Diskussion: Die Übersichtsarbeit verdeutlicht, dass Patient*innen, Angehörige und Versorgende Forschungsthemen mit unterschiedlichem Fokus benennen können. Die Themen begrenzen sich nicht nur auf die Wirksamkeit von Behandlungen, sondern schließen das Versorgungssystem und eine biopsychosoziale Perspektive ein und umfassen Forschungsthemen mit Fokus auf Patient*innen und Behandelnde. Damit greifen die Themen zentrale Aspekte der Versorgungsforschung auf.

Praktische Implikationen: Die priorisierten Forschungsthemen können eine Orientierung für zukünftige Projekte in der Versorgungsforschung sein, die Themen aus der Praxis aufgreifen. Weiterer Bedarf besteht in der Identifizierung und Priorisierung von Forschungsfragen von Patient*innen, Angehörigen und Versorgenden für bislang nicht fokussierte Gesundheitsprobleme.