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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Umgang mit Wünschen von Patienten bei der Verordnung von Antibiotika in der ambulanten Versorgung: eine qualitative Analyse

Meeting Abstract

  • Anna Stürmlinger - Universitätsklinikum Heidelberg, Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Germany
  • Martina Kamradt - Universitätsklinikum Heidelberg, Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Germany
  • Regina Poß-Doering - Universitätsklinikum Heidelberg, Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Germany
  • Katharina Glassen - Universitätsklinikum Heidelberg, Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Germany
  • Michel Wensing - Universitätsklinikum Heidelberg, Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf355

doi: 10.3205/19dkvf355, urn:nbn:de:0183-19dkvf3559

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Stürmlinger et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland ist der Verbrauch von Antibiotika im ambulanten Bereich am höchsten. Der unsachgemäße Gebrauch von Antibiotika gilt als Hauptursache für die Entwicklung von Resistenzen. Seit einigen Jahren gehören die Themen „Patientenzentrierung“ und „Patientenzentrierte Medizin“ zu den am häufigsten diskutierten Themen im Gesundheitswesen. Ein Kernbestandteil von „Patientenzentrierung“ ist die Kommunikation zwischen Ärzten und ihren Patienten – wie sie miteinander umgehen und einander verstehen. Als Gründe für nicht-indizierte Antibiotika-Verordnungen werden immer wieder hohe Erwartungen und Wünsche der Patienten genannt. Inwieweit Patientenwünsche bei der Antibiotikaverordnung eine Rolle spielen und welche Strategien Ärzte anwenden, um ihre Patienten erfolgreich aufzuklären und nicht-indizierte Verschreibungen vorzubeugen, wurde in der vorliegenden Studie untersucht.

Fragestellungen: Wie gehen niedergelassene Ärzte mit Patientenwünschen bezüglich der Verordnung von Antibiotika bei akuten, unkomplizierten Infekten um und welche Strategien nutzen sie im Umgang mit diesen?

Methoden: Zwischen März und Mai 2018 wurden 27 Telefoninterviews mit Hilfe eines semi-strukturierten Interviewleitfadens mit niedergelassenen Ärzten geführt. Die Daten wurden aufgezeichnet, wortwörtlich transkribiert und pseudonymisiert. Die Auswertung der Interviews erfolgte anhand des Tailored Implementation in Chronic Diseases (TICD) Frameworks zur Identifizierung von Determinanten der Praxis bezüglich des Einflusses der Patientenwünsche auf das Verordnungsverhalten von Ärzten. Da sich das TICD-Framework nicht für die Analyse von Verhaltensmustern eignet, wurde als ergänzendes Framework die Behavior Change Technique Taxonomie (BCT) verwendet. Die zur Erweiterung des TICD-Frameworks induktiv kategorisierten potenziellen Verhaltensstrategien wurden sorgfältig mit den BCT-Definitionen verglichen, um festzustellen, ob es sich um BCT-Techniken handelte. Die Analyse wurde mit Hilfe von MAXQDA Analytics PRO 18.0.3. durchgeführt. Die Studie entsprach den COnsolidated Kriterien für REporting Qualitative Research (COREQ).

Ergebnisse: Die Daten zeigen, dass die Wünsche der Patienten hinsichtlich der Verschreibung von Antibiotika im ambulanten Bereich teilweise erfüllt werden, keinen Einfluss haben oder eine wichtige Rolle spielen können. Wenn Ärzte auf die Wünsche der Patienten eingehen, gibt es unterschiedliche Strategien, wie sie mit ihren Patienten umgehen und kommunizieren. Kommunikation ist dann erfolgreich, wenn sich der Arzt ausreichend Zeit für den Patienten nimmt, dieser sich ernst genommen fühlt und ein kooperatives Gespräch geführt werden kann. Auf diese Weise werden die Patienten über das Thema Antibiotika (-Resistenzen) informiert und es ist möglich über alternative Behandlungsmöglichkeiten zu diskutieren. Dies führt zu Patientenaufklärung und der Vermeidung unnötiger Antibiotika-Verordnungen und wirkt damit der Entwicklung von Resistenzen entgegen. Im Rahmen der Analyse konnten BCT-Strategien identifiziert werden, die bereits von Ärzten im Praxisalltag genutzt werden. Dazu gehören beispielsweise im Bereich Patientenaufklärung die BCT-Strategien „information about health consequences“, „information about environmental consequences“ und „credible source“. Die BCTs „pros and cons“ und „comparative imagining of future outcomes“ hingegen sind Strategien, die genutzt werden, um mit Patienten ein vertrauensvolles Gespräch zu führen.

Diskussion: Für ein erfolgreiches Gespräch ist es wichtig, dass die Arzt-Patienten-Kommunikation stets kontextabhängig und individuell den Patienten abgestimmt wird, je nachdem, was die Situation erfordert. Neben allgemeineren Kommunikationsstrategien sollte der Fokus auf explizite Strategien gelegt werden, die nur gelegentlich angewandt wurden, wie z.B. verschiedene Aufklärungsmethoden, die beschreiben, wie in spezifischen Situationen gehandelt werden kann und somit ärztliche Handlungsoptionen aufzeigen.

Praktische Implikationen: Die Gemeinsamkeit aller verwendeten Strategien ist, dass die Kommunikation zwischen Arzt und Patient entscheidend ist. Die dabei die wichtigste Strategie „Patientenaufklärung“ kann durch verschiedene Ansätze erreicht werden. Die BCT-Taxonomie besteht aus 93 Strategien zur Verhaltensänderung, von denen 7 in dieser Studie identifiziert wurden. Um die Kommunikation zwischen Arzt und Patienten mit akuten, unkomplizierten Infektionen zu verbessern, könnte die BCT-Taxonomie in zukünftigen Interventionen als Grundlage dienen, um weitere Verhaltensstrategien des Modells auf ihre Anwendbarkeit in der Praxis zu prüfen.