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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

INDEED (Inanspruchnahme und sektorenübergreifende Versorgungsmuster von Patient*innen in Notfallversorgungsstrukturen in Deutschland) – Datenkörper der Notaufnahmen – Herausforderungen für eine homogene Analyse

Meeting Abstract

  • Antje Fischer-Rosinský - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Notfall- und Akutmedizin Campi Nord, Berlin, Germany
  • Felix Greiner - Otto-von-Guericke- Universität Magdeburg, Universitätsklinik für Unfallchirurgie, Magdeburg, Germany
  • Ryan King - Charité-Universitätsmedizin Berlin CC1, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Berlin, Germany
  • Felix Staeps - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Berlin, Germany
  • Anna Slagman - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Notfall- und Akutmedizin Campi Nord, Berlin, Germany
  • Thomas Keil - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Berlin, Germany
  • Martin Möckel - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Notfall- und Akutmedizin Campi Nord, Berlin, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf311

doi: 10.3205/19dkvf311, urn:nbn:de:0183-19dkvf3111

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Fischer-Rosinský et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Anzahl von Notaufnahmepatient*innen, sowie deren Charakteristika und Akut-, Vor- und Nachversorgungsparameter, wurden in Deutschland bisher nicht umfassend systematisch erfasst, sondern lediglich anhand von Befragungsdaten, einzelnen Studien mit limitierter Fallzahl und in der Regel nicht sektorenübergreifend untersucht. Die Dokumentationssysteme, erhobene Parameter und Möglichkeiten der Extraktion von elektronisch vorhandenen Daten sind in Notaufnahmen in Deutschland sehr heterogen. Ein methodisches Ziel von INDEED ist es, einen homogenen Datenkörper aufzubauen, der eine notaufnahmeübergreifende Analyse von Versorgungsdaten ermöglicht und diese Daten mit ambulanten Behandlungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen verknüpft, um damit inhaltlich relevante Fragestellungen zu beantworten.

Fragestellung: Welche Herausforderungen stellen sich bei dem Aufbau eines homogenen Datenkörpers aus den Notaufnahmedaten?

Methode: Es wurden aus insgesamt 16 Notaufnahmen deutschlandweit rund sechzig Variablen für INDEED abgefragt, die sich auf vier Datenblöcke aufteilen. Variablen zu den allgemeinen Informationen des Patienten (u.a. Alter zu Notaufnahmekontakt, Geschlecht, Kostenträger), Angaben zur Versorgung in der Notaufnahme (u.a. einbringender Transport, Zeitstempel, Notaufnahmediagnose, Bildgebung, Konsile und behandelnde Fachrichtung), Blut- und Vitalwerte, sowie GCS und Schmerzscala und im vierten Teil Informationen zu einem sich gegebenenfalls anschließenden stationären Aufenthalt mit Variablen (u.a. Zeitstempel, Fachrichtung, Diagnosen, Prozeduren, Entlassart). Die Daten werden in den Kliniken extrahiert, vor Ort durch INDEED-Mitarbeiter einer groben Prüfung unterzogen, final aufbereitet und ggf. mit Erklärungen versehen. Die medizinischen Nutzdaten werden verschlüsselt an das zentrale Datenmanagement von INDEED weitergeleitet, wo sie aus Datenschutzgründen von anderen INDEED-Mitarbeitern weiterverarbeitet werden. Im zentralen Datenmanagement werden die verschiedenen Datensätze bereinigt und harmonisiert die Qualität der Daten wird geprüft (Vollständigkeit, Plausibilität) und eine relationale Datenbank aufgebaut.

Ergebnisse: Es zeigt sich eine sehr umfassende strukturelle als auch inhaltliche Heterogenität der Daten. So wird beispielsweise das Leitsymptom mit zwischen sechs bis 170 Ausprägungen in den verschiedenen Kliniken erfasst. Die Fachabteilungen sind meist unterschiedlich angelegt und die Behandlungsroutinen nur bedingt vergleichbar. Eine große Schwierigkeit stellt die Abfrage von Bildgebung und anderen diagnostischen Verfahren, da diese oft schwer zu identifizieren sind, im Arztbrief als Freitext dokumentiert oder aus den unterschiedlichen Systemen nicht mit angemessenen Aufwand ausleitbar sind. Scheinbar standardisierte Instrumente wie die Schmerzskala sind unterschiedlich in die Notaufnahmeroutine implementiert. Minutengenaue prozessgenerierte Zeitstempel lassen primär eine Präzision vermuten, die im Gesamtkontext der Daten nicht real erscheint. Die Harmonisierung des Datenkörpers wird in einem zweitägigen Workshop adressiert, in dem Kliniker, Statistiker und Datenmanager die Standards der Variablen festlegen mit Blick auf die Beantwortung der Forschungsfragen.

Diskussion: Die stark ausgeprägte Heterogenität der Daten beruht auf den verschiedenen Dokumentationsroutinen in den Kliniken und unterschiedlichen IT-Architekturen. So kommen in den Kooperationskliniken sechs verschiedene Notaufnahmedokumentationssysteme zum Einsatz. Weitere Daten werden zum Teil aus dem Krankenhausdokumentationssystem, wie Bildgebung und Labor, sowie dem medizinischen Controlling bezogen. Letztere stationäre Daten unterliegen standardisierten Vorgaben und sind dementsprechend qualitativ gut, da sie abrechnungsrelevant sind. Im Projektverlauf hat sich abgezeichnet, dass 2016 die elektronische Dokumentation in den Häusern oftmals noch in den Anfängen steckte und sich seitdem erst etabliert. Ebenfalls sind die Ressourcen und die Expertise zur Datenextraktion in den Häusern sehr unterschiedlich. Die Datenbereitstellung ist mit einem beachtlichen Zeitaufwand seitens der eingebundenen Klinikmitarbeiter verbunden, welche das Projekt nebenher zu ihren eigentlichen Aufgaben begleitet haben.

Praktische Implikationen: Um eine aussagekräftige Analyse von Fragestellungen im Bereich der Versorgung in den Notaufnahmen durchzuführen sind vergleichbare Daten zwingend erforderlich. Vorhandene Standards der medizinischen Dokumentation müssen genutzt werden. Gleichzeitig sollte für Notaufnahmen eine einheitliche administrative Dokumentation gefordert werden, unabhängig von Abrechnungsmodus (ambulant/stationär) und Kostenträger (gesetzliche Krankenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung usw.). Nur mit einer einheitlichen Datengrundlage lassen sich notwendige Adaptionen der Patientenläufe planen und evaluieren. Den Kliniken müssen nicht nur im Rahmen von Forschungsprojekten die dafür notwendigen Ressourcen eingeräumt werden.