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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Zur Wirtschaftlichkeit der Versorgung erwachsener Patienten mit spastischer Bewegungsstörung

Meeting Abstract

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  • Helena Thiem - Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Burscheid, Germany
  • Cornelia Fietz - Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Burscheid, Germany
  • Reinhard P. T. Rychlik - Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Burscheid, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf303

doi: 10.3205/19dkvf303, urn:nbn:de:0183-19dkvf3031

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Thiem et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Eine spastische Bewegungsstörung (SB) in Form von ungewollter muskulärer Hyperaktivität tritt infolge einer Schädigung des zentralen Nervensystems auf. Sie kommt symptomatisch bei vielen neurologischen Krankheitsbildern vor, darunter Schlaganfall oder Multiple Sklerose. Eine Hochrechnung aus Krankenkassendaten der Leipziger Foren zeigt, dass in Deutschland etwa 530.000 Patienten von einer behandlungsbedürftigen SB betroffen sind. Eine Heilung ist derzeit nicht möglich, doch können Ausprägung und Begleiterkrankungen durch geeignete Therapieverfahren verbessert werden.

Fragestellung: Wie sieht die Versorgungsrealität der Patienten mit SB in Deutschland aus, weicht sie von der in den Leitlinien vorgeschlagenen Versorgung ab und welche Kosten entstehen dabei für das deutsche Gesundheitssystem?

Methode: Im Rahmen einer Prozesskostenanalyse wurden Allgemeinmediziner in Deutschland postalisch zu ihrer Patientenklientel mit SB, der nicht-invasiven und medikamentösen Therapie der SB sowie zum Pflegebedarf der Betroffenen befragt. Ein Delphi-Panel, bestehend aus 5 Neurologen, wurde zusätzlich konsultiert um Aussagen zu Fehlversorgung und Kostentrends zu machen. Aus allen Angaben wurde der aus der Therapie resultierende Ressourcenverbrauch ermittelt und diesem die entsprechenden Kosten aus Perspektive der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der gesetzlichen Pflegeversicherung (GPV) zugeordnet. Kosten für Medikamente wurden dabei der Lauer-Taxe entnommen, Kosten für Behandlungen entsprechend dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab der Kassenärztlichen Bundesvereinigung kalkuliert.

Ergebnisse: Insgesamt konnten die Antworten von 109 Allgemeinmedizinern zu 2.418 Patienten mit SB ausgewertet werden. Der GKV entstehen pro Patient und Jahr Kosten in Höhe von etwa 1.500 € durch Arztbesuche, Physiotherapie, Orthesen, medikamentöse Behandlung der SB sowie begleitende Schmerzen oder Depressionen. Extrapoliert auf das gesamte Patientenkollektiv ergeben sich Kosten in Höhe von knapp 783 Millionen € für die GKV.

Die SB hat große Auswirkungen auf den Pflegebedarf der Betroffenen. Etwa 77% der Patienten mit SB sind pflegebedürftig. Der GPV entstehen so Kosten in Höhe von 5,9 Milliarden € für die Pflege von Patienten mit SB.

Die extrapolierten Kosten für das gesamte Patientenkollektiv summieren sich auf 6,7 Milliarden €, wobei die Pflege den Hauptkostentreiber darstellt.

Diskussion: Die Ergebnisse der Prozesskostenanalyse zeigen, dass die Versorgung der Betroffenen in der Realität teilweise erheblich von der in der Fachliteratur und den Leitlinien beschriebenen Versorgung der SB abweicht. Diese würde zusätzlich die Versorgung durch spezialisierte Fachärzte sowie eine flächendeckendere Versorgung mit Physiotherapie und Botulinumtoxin A vorsehen. Dadurch würden zwar die Kosten in diesen Versorgungsbereichen ansteigen, dafür würden weniger orale antispastische Medikamente und Analgetika gebraucht.

Praktische Implikationen: Aus dem Survey geht hervor, dass weit mehr als die Hälfte der Patienten einen aufgrund der SB erhöhten Pflegegrad hat. Nimmt man an, dass bei leitliniengerechter Behandlung der SB der Pflegegrad der Patienten reduziert werden kann, wäre hier das größte Einsparpotential von rund 1,5 Mrd. € für die GPV zu erwarten.