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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Selbst- und Fremdwahrnehmung der Gesundheitskompetenz chronisch kranker PatientInnen in der hausärztlichen Versorgung

Meeting Abstract

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  • Daniele Civello - Uniklinik Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie (IGKE), Köln, Germany
  • Marcus Redaelli - Uniklinik Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE), Köln, Germany
  • Stephanie Stock - Uniklinik Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE), Köln, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf297

doi: 10.3205/19dkvf297, urn:nbn:de:0183-19dkvf2978

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Civello et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Chronisch kranke Patienten werden zunehmend im Selbstmanagement ihrer Erkrankung geschult, um Eigenverantwortung für das Management ihrer Erkrankung übernehmen zu können. Voraussetzung für ein adäquates Selbstmanagement sind ausreichende Fähigkeiten und Wissen der PatientInnen im Umgang mit ihrer Erkrankung. Dazu sind eine ausreichende Gesundheitskompetenz und ein sicherer Umgang mit Gesundheitsinformationen notwendig. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass ärztliche und nicht ärztliche Versorger in einer patientenverständlichen Sprache kommunizieren und auf die individuellen Bedarfe und Kompetenzen der Patienten eingehen. Die folgende Untersuchung beschäftigt sich damit, ob Ärzte die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten adäquat einschätzen können.

Fragestellung: Inwiefern gleichen oder unterscheiden sich die Selbsteinschätzung der Gesundheitskompetenz, gemessen am Health Literacy Survey-(HLS)-Score, von chronisch kranken Patienten und die Fremdeinschätzung durch ihre Versorger.

Methode: Innerhalb eines Papierfragebogens wurde unter anderem der HLS-EU-16 angewendet um persönliche Kompetenzen und Erfahrungen der Patienten in der Bewältigung gesundheitsrelevanter Fragestellungen zu messen (HLS-Score). Insgesamt wurden 345 PatientInnen aus 13 allgemeinmedizinischen Praxen in NRW schriftlich befragt. Zusätzlich wurden die behandelnden ÄrztInnen direkt nach dem Patientenkontakt ebenfalls befragt. Hierzu wurde der HLS-EU-16 so umformuliert, so dass die Behandler ihre Patienten einschätzen sollten. Über eine Zusatzfrage nur für die Behandler konnten diese die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten auch zusammengefasst bewerten.

Ergebnisse: Das Patientenkollektiv war zu 59,7% weiblich und nahezu zur Hälfte 61 Jahre und älter (49,8%), 23,9% waren 71 und älter. Von den befragten PatientInnen wiesen 58,3% eine oder zwei chronische Krankheiten aus, 35,5% wiesen drei oder mehr Erkrankungen auf. Während 23,3% einen Migrationshintergrund hatten, gaben 74,8% Deutsch als Haussprache im Haushalt an. 41,2% hatten ein Haupt-, Volks- oder Oberschulabschluss, 22,7% einen Realschulabschluss und 30,4% einen höheren Schulabschluss, 5,7% hatten keinen regulären Abschluss.

Der HLS-Score der Selbsteinschätzung (P) war im Durchschnitt 12,2 während die ärztliche Fremdeinschätzung einen durchschnittlichen Score von 10,8 ergab (n=293 vs. 262, Unterschied signifikant auf 5%-Niveau). Die Behandler schätzen die Gesundheitskompetenz der Patienten signifikant seltener als die Patienten selbst als ausreichend (45,0% vs. 52,9%) ein, gleichsam schätzten die Behandler ihre Patienten häufiger als inadäquat gesundheitskompetent ein (33,6% vs. 14,3%). In der zusätzlichen Arzteinschätzung wurde die Gesundheitskompetenz der PatientInnen in 3,4% der Fälle als „unzureichend“, 53,2% als „eher (nicht) ausreichend“ und 43,3% als „ausreichend“ eingestuft.

Als Einflussfaktoren konnten bei der HLS-Patientenbewertung nur der Schulabschluss bestätigt werden (0,332), bei der ärztlichen HLS-Fremdeinschätzung waren Alter, Schulabschluss und die Anzahl der chronischen Krankheiten bestätigte Einflussfaktoren (-0,187; 0,178; 0,169).

Auf die zusätzliche Bewertung der Behandler hatten die Faktoren Alter, Geschlecht, Schulabschluss (-0,157; -0,162; 0,170) einen Einfluss, außerdem waren die Faktoren Migration, chronische Krankheiten sehr nah an der Signifikanzgrenze.

Diskussion: Die Selbsteinschätzung der Gesundheitskompetenz von chronisch kranken Patienten und deren Fremdeinschätzung durch die behandelnden Ärzte unterscheidet sich signifikant. Behandler schätzen die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten signifikant schlechter ein, als diese sich selbst einschätzen. Welche Einschätzung der Gesundheitskompetenz der tatsächlichen Fähigkeit Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und anzuwenden eher entspricht, sollte in einem nächsten Schritt durch eine objektivierte Zusatzerhebung untersucht werden. Gesichert erscheint, dass Behandler bewusst oder unbewusst mehr Faktoren in Ihre Einschätzung mit einfließen lassen, dies gilt vor allem dann, wenn Behandler die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten allgemein einschätzen sollen.

Praktische Implikationen: Für eine angemessene Gesundheitsversorgung und den richtigen Umgang mit Gesundheitsinformationen ist es nicht nur wichtig, dass Patienten befähigt sind Gesundheitsinformationen zu erlangen und zu verstehen, ebenso ist es wichtig, dass die Behandler gegebenenfalls Missstände in der Gesundheitskompetenz erkennen und adressieren können. Dazu ist es in erster Linie hilfreich, dass Patienten und Behandler eine ähnliche Einschätzung der Gesundheitskompetenz haben. In einem weiteren Schritt muss nun herausgefunden werden, welche Einschätzung eher der Realität –im Sinne einer objektiven Messung- entspricht und wie die unterschiedlichen Einschätzung zustande kommen und adressiert werden können.