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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Implementierung der „telefonisch-psychologischen Beratung Unfallverletzter“ bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)

Meeting Abstract

  • Jutta Ahnert - Universität Würzburg, Arbeitsbereich Medizinische Psychologie und Psychotherapie, Würzburg, Germany
  • Lena Böckle - Universität Würzburg, Arbeitsbereich Medizinische Psychologie und Psychotherapie, Würzburg, Germany
  • Heiner Vogel - Universität Würzburg, Arbeitsbereich Medizinische Psychologie und Psychotherapie, Würzburg, Germany
  • Jürgen Wilhelm - Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Bezirksverwaltung Würzburg, Würzburg, Germany
  • Claudia Drechsel-Schlund - Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Bezirksverwaltung Würzburg, Würzburg, Germany
  • Silke Neuderth - Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften, Würzburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf289

doi: 10.3205/19dkvf289, urn:nbn:de:0183-19dkvf2897

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Ahnert et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Das bei der gesetzlichen Unfallversicherung seit vielen Jahren etablierte Psychotherapeutenverfahren hat sich erfolgreich etabliert [1]. Allerdings sind zwei Problemkonstellationen bereits früh offensichtlich geworden: Einerseits sind gerade schwer unfallverletzte Personen oft nicht so mobil, dass sie in die Praxis von Psychotherapeuten kommen können, andererseits gibt es nicht wenige Patienten, die nach einem schweren Unfall erhebliche psychische Belastungen davon tragen, aber aus unterschiedlichen Gründen keinen Psychotherapeuten aufsuchen würden, z.B. aufgrund von Vorurteilen oder weil man meint, damit müsse man „selbst fertig werden“.

Mit dem neuen telefonisch-psychologischen Beratungsangebot werden Versicherte der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) bei entsprechenden Fallkonstellationen (z.B. Unfallsituationen mit Traumatisierungsrisiko, schwere Unfälle, starke Schmerzen) zeitnah zu dem Unfall/Extremereignis proaktiv angesprochen, und es wird ihnen angeboten, dass sie gerne psychologische Unterstützung zu Lasten der BGW in Anspruch nehmen können. Dadurch werden Betroffene mit möglichen unfallbedingten psychischen Problemen insgesamt früher erreicht und es kann schneller und niederschwellig abgeklärt werden, ob evtl. eine psychotherapeutische Indikation besteht. Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse der Pilotphase (vgl. [2]) wurde das Konzept der telefonisch-psychologischen Beratung 2018 als Ergänzung zum Psychotherapeutenverfahren flächendeckend in allen elf Bezirksverwaltungen (BVen) der BGW implementiert. Begleitend wurden der Implementierungserfolg sowie Optimierungspotentiale erfasst.

Methode: Die deutschlandweite Implementierung erfolgte mittels einheitlicher zielgruppenspezifischen Informationsveranstaltungen und Fortbildungen bei den verschiedenen in jeder BV beteiligten Stellen. Als qualitätssichernde Maßnahme wurden begleitend in jeder BV von Juni bis November 2018 die folgenden Daten der angeschriebenen Fälle dokumentiert: Geburtsdatum, Unfalldatum, Art des Unfallgeschehens, Verletzungsart, Auswahlkriterium, Versanddatum Anschreiben, Annahme/Ablehnung des Angebots, Anzahl geführter Telefonate, Inanspruchnahme einer anschließenden ambulanten Psychotherapie, Datum wiedererreichte Arbeitsfähigkeit. Des Weiteren wurde eine Befragung der beteiligten Psychotherapeuten und der BV-Ansprechpartner durchgeführt, um das Angebot und seine Implementierung bewerten zu lassen und um Hindernisse und Verbesserungspotentiale zu klären. Die Auswertung erfolgte deskriptiv und orientiert an inhaltsanalytischen Verfahren.

Ergebnisse: Seit Juni 2018 ist das Angebot der telefonisch-psychologischen Beratung in allen Bezirksverwaltungen der BGW angelaufen. Im Durchschnitt wurden monatlich 176 Angebote unterbreitet (insgesamt 1057 Angebote innerhalb von 6 Monaten). Von 1002 Versicherten liegen Falldokumentationen vor (78,6% weiblich, Altersdurchschnitt: 41,9 J.). Am häufigsten wurden Versicherte angeschrieben, die einen Übergriff/Angriff im Betrieb (38,2%) oder einen Wegeunfall (30,3%) erlitten hatten. Zeugen von belastenden Ereignissen (z.B. Suizid) waren zu 19,1% Adressaten des Angebots. Das Angebot der telefonisch psychologischen Beratung wurde von 13,5% der angeschriebenen Versicherten angenommen. Am häufigsten wurden ein (46,9%) oder zwei (26,1%) Telefonate mit den Psychotherapeuten in Anspruch genommen. Die Psychotherapeuten (n=10) als auch die BV-Ansprechpartner (n=11), bewerten das Angebot nach 6 Monaten insgesamt als „gut“ bis „sehr gut“ Optimierungsvorschläge betrafen insbesondere die Formulierung der Anschreiben, die Fallauswahl oder aber auch Erleichterungen bei der Dokumentation der Fälle.

Diskussion: Die Zahlen zur monatlichen Angebotsunterbreitung zeigten von Beginn an ein hohes Engagement in allen BVen, so dass die sorgfältig geplante und intensiv begleitete Implementierung als gelungen bezeichnet werden kann. Wichtig war es, dass nach der Pilotphase erarbeitete Ablaufschema flexibel auf die vorgesehene Routinephase anzupassen und flexibel weiterzuentwickeln. Dieses Konzept sowie die kontinuierliche Begleitung durch die Hauptverwaltung der BGW und weitergehende begleitende Qualitätssicherung sollten die Gewähr für eine erfolgreiche Fortführung der telefonisch-psychologischen Beratung bieten. Von Seiten der Psychotherapeuten und der BV-Ansprechpartner kamen wertvolle Hinweise auf Problemfelder und auch nützliche Optimierungsvorschläge, die in die weitere Umsetzung eingehen werden.


Literatur

1.
Drechsel-Schlund C, et al. Umsetzung des Psychotherapeutenverfahrens. Einbindung von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten. Trauma Berufskrankh. 2015;17:275-280.
2.
Ahnert J, et al. Pilotprojekt „Telefonisch-psychologische Beratung Unfallverletzter“ der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege – Wie wird das Angebot bewertet? Das Gesundheitswesen. 2018;80(11):981-986.