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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Versorgungsverläufe im letzten Lebensjahr und Hinweise auf die Zielerreichung ambulanter palliativer Versorgung. Eine Auswertung regionaler GKV-Routinedaten

Meeting Abstract

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  • Ingo Meyer - Universität zu Köln, PMV Forschungsgruppe, Köln, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf264

doi: 10.3205/19dkvf264, urn:nbn:de:0183-19dkvf2646

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Meyer.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die SAPV [1] zielt auf die Verbesserung der Versorgung unheilbar Kranker am Lebensende und umfasst medizinische und pflegerische Leistungen, Koordination und Beratung von Betroffenen. Ihre Ziele sind die Förderung von Lebensqualität und Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen, ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod im häuslichen Umfeld sowie die Setzung eines Schwerpunktes auf palliativer anstatt kurativer Versorgung.

Fragestellung: Untersucht werden die Versorgungsverläufe von Verstorbenen im letzten Lebensjahr, sowie Inanspruchnahme und Beginn palliativer Versorgung. Des Weiteren werden zwei über Routinedaten operationalisierbare Ziele der SAPV (Wechsel von kurativ zu palliativ und Leben bis zum Tod im häuslichen Umfeld) ausgewertet.

Methode: Die Analyse beruht auf Routinedaten von Versicherten (18 Jahre und älter) der AOK Rheinland/Hamburg in der Region Nordrhein, die in den Jahren 2014 bis 2016 verstorben sind (N = 90.797). Es wurden Versorgungsverläufe gebildet, die die Abfolge der Inanspruchnahme aller Gesundheitsleistungen im letzten Lebensjahr abbilden. Versicherte wurden dann nach maximaler Intensität in Anspruch genommener Palliativleistung (von pall. Leistungen der ambulanten Regelversorgung (pall. RV) über AAPV bis SAPV) gruppiert und ausgewertet.

Ergebnisse: Insgesamt weisen rund 30% der Versicherten Verläufe mit palliativer Inanspruchnahme im letzten Lebensjahr auf. 9,4% erhalten maximal pall. RV Leistungen, 12% AAPV Leistungen und 5,9% SAPV Leistungen. Die Inanspruchnahme von SAPV stieg von 5,1% im Jahr 2014 auf 7,1% im Jahr 2016. Pall. RV begann im Median 95 Tage, AAPV 74 Tage und SAPV 22 Tage vor dem Tod.

Zum Wechsel von kurativer zu palliativer Versorgung und der Zielsetzung des Symptom- und Schmerzmanagements zeigen die Daten, dass rund 60% der nicht-palliativen Verstorbenen in den letzten 30 Lebenstagen einen Krankenhausaufenthalt hatten, im Vergleich zu 51% für pall. RV, 46% für AAPV und 42% für SAPV. Der Anteil von SAPV-Patient*innen mit Krankenhausaufenthalt nach Beginn der SAPV lag bei 28%. Der Anteil von Kosten für allgemeine Arzneimittel nahm im Vergleich zu dem für palliative Arzneimittel (vgl. [2]) nach Beginn der Palliativversorgung ab (für SAPV: 81,5% vorher, 45,2% nachher).

Zum Verbleib in der Häuslichkeit zeigten die Daten für 58% der nicht-palliativen Verstorbenen das Krankenhaus als Sterbeort, verglichen mit 38% für pall. RV, 28% für AAPV und 15% für SAPV. Bei SAPV-Patient*innen kann für 53% ein Versterben in der Häuslichkeit angenommen werden (da keine stationären Leistungen am Todestag in Anspruch genommen wurden).

Diskussion: Die Zahlen zur Inanspruchnahme sind ähnlich denen vergleichbarer Studien [3], wobei sich ein bereits für den Zeitraum 2010 bis 2014 gezeigter Anstieg von SAPV-Patient*innen in den vorliegenden Daten fortzusetzen scheint. Auch die Daten zum Beginn der SAPV-Versorgung vor Tod sind in anderen Studien ähnlich [3], [4]. Bezüglich der Zielerreichung ist der von [4] ermittelte Anteil von SAPV-Patient*innen mit Krankenhausaufenthalt nach Beginn der SAPV niedriger als in der vorliegenden Population, wohingegen ein vergleichbarer Anteil in der Häuslichkeit verstarb.

Praktische Implikationen: Insgesamt ergeben sich in den vorliegenden Daten Hinweise darauf, dass ambulante Palliativversorgung (und insb. die SAPV) die hier analysierten Ziele erreichen kann. Angesichts der durchaus kritischen Diskussion über einen späten Beginn von Palliativversorgung vor Tod und über das Verhältnis von palliativem Bedarf und bestehendem Versorgungsangebot (vgl. [3], [5], [6]) ist allerdings zu fragen, ob dieses Potential bereits ausgeschöpft ist bzw. ob ein Ausbau der Versorgungsstrukturen zur Verbesserung der Zielerreichung beitragen kann.

Anmerkung: Das dieser Veröffentlichung zugrundliegende Projekt wurde mit Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss unter dem Förderkennzeichen 01VSF16007 gefördert.


Literatur

1.
Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA). Richtlinie des GBA zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung. Berlin; 2007.
2.
Rémi C. S3-Leitlinie Palliativmedizin. In: Landeszentrum Gesundheit NRW, Hrsg. Arzneimittel in der Palliativversorgung. Tagungsdokumentation der Fachtagung Sozialpharmazie. Bielefeld: LZG.NRW; 2017. S. 29-44.
3.
Radbruch L, Andersohn F, Walker J. Palliativversorgung Modul 3: Überversorgung kurativ – Unterversorgung palliativ? Analyse ausgewählter Behandlungen am Lebensende. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung; 2015. (Faktencheck Gesundheit).
4.
Heckel, M, et al. Retrospektive Datenanalyse von Patienten in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) – Vergleich zwischen Stadt und Landkreis. Das Gesundheitswesen. 2016;78(07):431-437.
5.
Dasch B, et al. Abschätzung des ambulanten palliativmedizinischen Versorgungsgrades regionaler palliativmedizinischer Konsiliardienste in Westfalen-Lippe. Gesundheitswesen. 2017;79(12):1036-1042. DOI: 10.1055/s-0041-110529 Externer Link
6.
Radbruch L, Payne S. White paper on standards and norms for hospice and palliative care in Europe: part 1. European journal of palliative care. 2009;16(6):278-289.