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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Abbildung der Inanspruchnahme palliativer Versorgung anhand bundesweit und regional verfügbarer Verordnungsziffern und Leistungsabrechnungen

Meeting Abstract

  • Bianka Ditscheid - Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemeinmedizin, Jena, Germany
  • Markus Krause - Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemeinmedizin, Jena, Germany
  • Thomas Lehmann - Universitätsklinikum Jena, Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften, Jena, Germany
  • Helmut L’hoest - BARMER, Abteilung Medizin und Versorgungsforschung, Wuppertal, Germany
  • Ursula Marschall - BARMER, Abteilung Medizin und Versorgungsforschung, Wuppertal, Germany
  • Winfried Meißner - Universitätsklinikum Jena, Abteilung Palliativmedizin, Klinik für Innere Medizin II, Jena, Germany
  • Antje Freytag - Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemeinmedizin, Jena, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf260

doi: 10.3205/19dkvf260, urn:nbn:de:0183-19dkvf2606

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Ditscheid et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Verfügbarkeit palliativer Versorgung (PV) hat in Deutschland in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Versorgungsformen umfassen u.a. die (allgemeine) ambulante Palliativversorgung (AAPV) durch Hausärzte und niedergelassene Spezialisten, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) durch SAPV-Teams, aber auch die palliative Versorgung in Krankenhäusern und Hospizen. Verfügbare amtliche Quellen liefern Zahlen zu SAPV-Erst- und Folgeverordnungen (SAPV-Frequenzstatistik der KBV) bzw. für SAPV-Abrechnungsfälle (KG 3 Statistik); die tatsächliche Anzahl an Versicherten, die SAPV erhalten, kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Sowohl für die AAPV als auch für die SAPV gibt es KV-spezifische sowie selektivvertragliche Abrechnungsziffern, ohne deren Berücksichtigung die Versorgung nur unvollständig abgebildet wird. Die hier vorgestellten Ergebnisse sind im Rahmen eines Teilprojekts des GBA-Innovationsfonds-geförderten Projekts SAVOIR (FKz: 01VSF16005) entstanden, das die palliativmedizinische Versorgungslandschaft Deutschlands genauer untersucht, um Empfehlungen zur Überarbeitung der SAPV-Richtlinie und zukünftigen Ausgestaltung der palliativmedizinischen Versorgung abzuleiten.

Fragestellung: Anhand von GKV-Routinedaten einer bundesweit agierenden Krankenversicherung (BARMER) soll ermittelt werden, welcher Teil der Versicherten am Lebensende wie palliativmedizinisch versorgt wird und welche Unterschiede diesbezüglich zwischen den KV-Regionen bestehen.

Methode (Studiendesign, Datenerhebung und -auswertung): Auf der Basis von im Wissenschaftlichen Datawarehouse (WDWH) der BARMER zur Verfügung gestellten pseudonymisierten Routinedaten wurde eine retrospektive Kohortenstudie durchgeführt. Primäre Einschlusskriterien für die Studienpopulation waren ein Sterbedatum in 2016, ein Alter von mindestens 19 Jahren zum Zeitpunkt des Todes sowie eine mindestens zwei Jahre vor dem Tod durchgängige Versicherung. Für die Ermittlung der Art der palliativmedizinischen Versorgung wurden über bundesweit gültige EBM-Ziffern (GOPen 03370, 03371, 03372, 03373, 01425, 01426) hinaus erstmals KV-spezifische und selektivvertragliche Abrechnungsziffern für palliative Leistungen (inkl. SAPV-Leistungsabrechnungen) in die Analysen einbezogen. Die Datenauswertung erfolgte mittels SAS Enterprise Guide 7.1. Auf der Basis der in den letzten sechs Monaten vor dem Tod abgerechneten Leistungen wurden die Versicherten den Versorgungsformen AAPV, SAPV, stationäre PV, Hospiz sowie keine PV zugeordnet. Versicherte, die Leistungen aus verschiedenen Versorgungsformen erhalten haben wurden in jeder zutreffenden Versorgungsform gezählt. Die Auswertung erfolgt sowohl für das gesamte Bundesgebiet als auch differenziert nach KV-Regionen der Versicherten.

Ergebnisse: Nach Anwendung der Einschlusskriterien stand eine Studienpopulation von 95.962 Versicherten für die Auswertungen zur Verfügung. Im Bundesdurchschnitt erhielten 33,1% der Versicherten mindestens eine Form von PV, wobei der Anteil bezogen auf die einzelnen KVen zwischen 26,1% (Bremen) und 41,4% (Bayern) schwankt. Leistungen der AAPV wurden bei 24,9% der Versicherten abgerechnet, mit Schwankungen zwischen 17,3% (Brandenburg) und 34,8% (Bayern). SAPV-Leistungen erhielten 13,1% aller Verstorbenen, auf KV-Ebene mit Schwankungen zwischen 6,1% (Rheinland-Pfalz) und 23,3% (Westfalen-Lippe). Hospizleistungen wurden im Bundesdurchschnitt für 3,4% der Versicherten abgerechnet: 1,7% (Bremen) bis 5,7% (Berlin). 8,0% der Versicherten wurden stationär palliativmedizinisch versorgt, mit Schwankungen zwischen 6,7% (Schleswig-Holstein) und 13,3% (Thüringen).

Diskussion: Die Berücksichtigung KV-spezifischer und selektivvertraglicher Abrechnungsziffern für palliative Leistungen über die bundesweit gültigen palliativen EBM-Ziffern hinaus liefert ein deutlich umfassenderes Bild der palliativmedizinischen Versorgungslage in Deutschland. Es zeigt sich u.a., dass mit 13,1% der Verstorbenen des Jahres 2016 deutlich mehr BARMER-Versicherte SAPV-Leistungen erhalten, als dies unter ausschließlicher Verwendung der Verordnungsziffern darstellbar war (7,0% vgl. Präsentation DKVF 2018). Letztere erfassen z.B. keine SAPV-Verordnungen im Krankenhaus, die für bis zu sieben Tage ausgestellt werden können. Dabei ist anzumerken, dass die Zahlen aufgrund von Verfügbarkeitseinschränkungen bei den SAPV-Abrechnungsziffern (z.B. für Berlin) vermutlich noch unterschätzt sind. Die Einschränkungen für eine Übertragung der Inanspruchnahme von BARMER-Versicherten auf die gesamte GKV-Population sind zu berücksichtigen.

Praktische Implikationen: Eine möglichst vollständige und regional differenzierte Abbildung der palliativmedizinischen Versorgungslage ist eine wichtige die Voraussetzung dafür, die Palliativversorgung in Deutschland bedarfsgerecht und wirtschaftlich weiterzuentwickeln.