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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

„Was uns weiterhilft!“ – multiperspektivische Evaluation eines aufsuchenden Unterstützungsprogramms für Personen mit Demenz (PmD) und ihren Angehörigen

Meeting Abstract

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  • Esther Berkemer - Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, Ludwigshafen, Germany
  • Marion Bär - Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, Ludwigshafen, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf250

doi: 10.3205/19dkvf250, urn:nbn:de:0183-19dkvf2505

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Berkemer et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Sicherung einer stabilen häuslichen Pflegesituation für PmD ist eine der drängenden gegenwärtigen Herausforderungen der Gesundheitsversorgung. Inwieweit dies gelingt, hängt entscheidend von der gemeinsamen Krankheits- und Alltagsbewältigung Betroffener und ihrer Angehörigen ab. Im Gegensatz zu bisherigen Konzepten der Pflegeberatung und Patientenedukation, die sich meist an pflegende Angehörige richten, verfolgt das DYADEM-Programm (Häußler et al., 2010) einen konsequent dyadischen Ansatz: Das modular aufgebaute Unterstützungsprogramm bezieht PmD und pflegende Angehörige gemeinsam ein. In einem Modellprojekt wurde dieses Programm modifiziert und von Pflegeexpert*innen Demenz als aufsuchende Intervention durchgeführt. Die hier vorgestellte qualitative Evaluation ist ein Teilprojekt im Rahmen des Modellprojektes.

Fragestellung: Ziel der qualitativen Evaluation ist es den persönlichen Nutzen, die Akzeptanz und ggf. Veränderungsbedarfe für das von Pflegeexpert*innen durchgeführte dyadische Unterstützungsprogramm aus Betroffenen- und Akteursperspektive zu erfassen.

  • Wie wird der Nutzen der Intervention für die gemeinsame Alltagsbewältigung und Verbesserung der Lebensqualität aus Sicht der Teilnehmenden (PmD, Angehörige, Pflegeexpert*innen bewertet?
  • Inwieweit zeigen sich gewonnene Handlungsspielräume, aber auch mögliche weitere Unterstützungsbedarfe in den Beschreibungen des gegenwärtigen Alltags von PmD und ihren Angehörigen?

Methode: Das Modellprojekt ist durch einen Mixed Method Ansatz gekennzeichnet. Die qualitative Teilevaluation fokussiert die lebensweltliche Perspektive der Dyaden und den Beitrag zur Krankheits- und Krisenbewältigung im häuslichen Umfeld. Mit 11 beteiligten Dyaden wurden episodische Interviews geführt (gemeinsame und Einzelinterviews) Zusätzlich wurden zwei Focusgruppen (eine mit 5 Angehörigen, die andere mit den Pflegeexpert*innen) durchgeführt.

Ergebnisse: Die Befunde belegen eine hohe Akzeptanz des Programms von beiden Dyadenpartnern. Das dyadische Setting wird überwiegend als hilfreich angesehen, insbesondere, wenn es um die Lösungsfindung für konflikthafte Themen geht. Von entscheidender Bedeutung ist der aufsuchende Ansatz, sowohl zur Stressreduktion, als auch zur verbesserten Handlungssicherheit auf Seiten der PmD.

Insbesondere Angehörige geben an, durch das Programm eine Erweiterung ihres Handlungsspielraums erfahren zu haben. Je nach dem Stadium der Krankheitsbewältigung, in dem sich die Dyade befindet, werden unterschiedliche Module als nutzbringend hervorgehoben: der Wissenszuwachs über Erkrankung, Verlauf und Unterstützungsmöglichkeiten, das offene, moderierte Gespräch, die Unterstützung der Selbstsorge der Angehörigen oder die Stärkung von Ressourcen (z.B. Gestaltung positiver Alltagssituationen).

Die Beziehungsgestaltung und das aufgebaute Vertrauensverhältnis zwischen Dyaden und Pflegeexpert*innen sind bedeutsame Faktoren für den wahrgenommenen Nutzen und den Alltagstransfer bei beiden Dyadenpartnern. Eine zentrale Aufgabe aus Perspektive der Pflegeexpert*innen ist es, die Balance im dyadischen Setting zu erhalten bzw. herzustellen.

In der retrospektiven Bewertung des Programms kommt vor allem die Angehörigenperspektive zum Tragen, da ein Großteil der befragten PmD allenfalls vage Erinnerungen daran hat. In den Erzählungen zum gegenwärtigen Alltag zeigt sich dagegen, dass die PmD sehr intensiv in der Aufrechterhaltung eines aktiven, möglichst normalen Lebens engagiert sind. Demgegenüber sind sich Angehörige ihrer im progredienten Krankheitsverlauf wachsenden Verantwortung bewusst. Während für den gegenwärtigen Zeitpunkt ein Gewinn an Handlungssicherheit erlebt wird, wird mit Blick auf die Zukunft häufig die Frage gestellt: Werde ich auch dann mit den Herausforderungen umgehen können? Die Tatsache, dass die Pflegeexpert*innen im Rahmen einer Ambulanztätigkeit auch zukünftig ansprechbar sind, wird hier als Erleichterung erlebt.

Diskussion: Es ergeben sich vielfältige Herausforderungen in der Arbeit mit Dyaden, abhängig von deren Beziehungsqualität, erlebten Belastungen und Erwartungen an das Programm. Dabei erweist sich das Programm DYADEM als gut handhabbares und effektives Konzept, um die durchaus divergierenden Lebenswelten von Betroffenen und Angehörigen und deren jeweilige Bedarfe zu adressieren. Zu erfassen, wo die Dyaden in der Krankheitsbewältigung stehen, kann zukünftig helfen, die einzelnen Module noch gezielter anzuwenden.

Praktische Implikationen: Ein von Pflegeexpert*innen durchgeführtes aufsuchendes dyadisches Unterstützungsprogramm leistet einen wichtigen Beitrag zur Krankheits- und Alltagsbewältigung von Dyaden. Über das Trainingsprogramm hinaus ist eine bedarfsorientierte längerfristige Begleitung der Dyaden wünschenswert, um die häusliche Situation auch im weiteren Erkrankungsverlauf zu stabilisieren.