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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Hausarztbasierte Demenzversorgung mit koordinierter Kooperation und Einsatz spezialisierter Pflegekräfte (DemStepCare): Studienübersicht und Evaluationskonzept

Meeting Abstract

  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA), Freiburg, Germany
  • Harald Binder - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Freiburg, Germany
  • Julian Wangler - Universitätsmedizin Mainz, Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie (ZAG), Abteilung Allgemeinmedizin, Mainz, Germany
  • Michael Jansky - Universitätsmedizin Mainz, Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie (ZAG), Abteilung Allgemeinmedizin, Freiburg, Germany
  • Michael Löhr - LWL-Klinikum Gütersloh Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung, LWL-Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen, Gütersloh, Germany
  • Michael Schulz - LWL-Klinikum Gütersloh Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung, LWL-Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen, Gütersloh, Germany
  • Irene Krämer - Universitätsmedizin Mainz, Apotheke, Mainz, Germany
  • Claudia Mildner - Universitätsmedizin Mainz, Apotheke, Mainz, Germany
  • Alexandra Wuttke-Linnemann - Rheinhessen-Fachklinik Alzey, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin Mainz, Landeskrankenhaus Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR), Alzey, Germany
  • Andreas Fellgiebel - Rheinhessen-Fachklinik Alzey, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin Mainz, Landeskrankenhaus Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR), Alzey, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf249

doi: 10.3205/19dkvf249, urn:nbn:de:0183-19dkvf2493

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Farin-Glattacker et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Problemfelder und Herausforderungen der derzeitigen Demenzversorgung sind u.a.
a) eine leitliniengerechte, zeitnahe Diagnostik und Therapie,
b) die Sicherstellung einer multiprofessionellen und multimodalen Versorgung unter Einbezug medizinischer, pflegerischer, sozialer, psychologischer und auch rechtlicher Maßnahmen bzw. Beratungen,
c) das Eingehen auf die angesichts der hohen Variabilität der Versorgungsprobleme sehr individuellen Bedarfe und
d) die Verfügbarkeit effektiver Strukturen zur ambulanten Krisenintervention in Versorgungskrisen (z.B. aufgrund von Erschöpfung von pflegenden Angehörigen oder sich entwickelnden Verhaltensauffälligkeiten).
Erforderlich sind innovative Versorgungsmodelle, die diese Probleme berücksichtigen und routinetaugliche Lösungen bereitstellen.

Fragestellung: DemStepCare stellt ein hausarztbasiertes Versorgungskonzept dar mit dem Ziel, eine sowohl leitliniengerechte als auch patientenzentrierte Versorgung von Patienten mit dementiellen Erkrankungen und deren pflegenden Angehörigen zu ermöglichen. Hierdurch sollen die medizinische und psychosoziale Versorgungsqualität nachhaltig verbessert und häufige Fehlversorgungen (Krankenhauseinweisungen – demenzbezogen oder aufgrund von nicht leitliniengerechter ambulanter Diagnostik und Behandlungen – Doppeluntersuchungen, Einsatz von risikoreichen Psychopharmaka) reduziert werden. Die DemStepCare-Intervention wird implementiert und wissenschaftlich evaluiert. Primäre Versorgungsziele sind die Reduktion der stationären Behandlung, die verbesserte Lebensqualität von Patienten mit Demenz und eine reduzierte Belastung der pflegenden Angehörigen.

Methode: Es wird eine prospektive clusterrandomisierte Studie durchgeführt. 120 Hausärzte werden mit ihren Patienten (N=13-15 pro Hausarzt) stratifiziert nach der Demenzsensibilität des Arztes in die Interventions- oder Kontrollgruppe (IG/KG) randomisiert (1:1, ca. 800 Fälle pro Gruppe). Alle Hausärzte (also unabhängig von der Zuordnung IG und KG) erhalten ebenso wie die Medizinischen Fachangestellten, MFAs, eine Fortbildung zum neuen Versorgungsnetz und regionalen Unterstützungsmöglichkeiten. Zudem werden fortlaufende Qualitätszirkel eingerichtet. Hausärzte und MFAs der Interventionsgruppe erhalten zusätzlich eine Schulung zu leitliniengerechter Demenzdiagnostik und -therapie. Alle Patienten erhalten eine Risikostratifizierung bzgl. der Versorgungsstabilität, in der Interventionsgruppe erfolgt diese durch Case Manager. In der IG wird zudem eine pharmazeutische Medikationsanalyse bei allen Patienten, ein pflegerisches Case Management für Patienten mit erhöhtem Versorgungsrisiko und eine Behandlung durch die aufsuchende 24-Stunden-Krisenambulanz eingeführt.

Eine zweite Kontrollgruppe besteht aus Routinedaten der Gesetzlichen Krankenkassen und bezieht sich allein auf gesundheitsökonomische Analysen (Budget-Impact-Analyse und Kosten-Effektivitäts-Analysen, gesamt und getrennt nach Risikogruppen).

Primäre Endpunkte sind:

1.
Zahl der stationären Behandlungstage,
2.
Lebensqualität von Patienten und
3.
Pflegebezogene Belastung der Angehörigen.

Sekundäre Endpunkte sind:

  • Akzeptanz der Intervention (bei Patienten und Angehörige),
  • Verordnungen von Psychopharmaka und Polypharmazie,
  • leitliniengerechte Demenzdiagnostik und -therapie; Akzeptanz, Adhärenz und Demenzsensibilisierung der Hausärzte,
  • Nutzungsgrad von ambulanten Unterstützungsangeboten,
  • Akzeptanz bei Case Managern und Pflegeexperten sowie
  • Versorgungsstabilität.

Zur Datenanalyse werden u.a. hierarchische lineare Modelle mit Berücksichtigung des Clustereffekts auf Praxisebene eingesetzt.

Diskussion und praktische Implikationen: In Deutschland leben gegenwärtig rund 1,7 Millionen Menschen mit Demenz, wobei aufgrund der demografischen Veränderungen weitaus mehr Neuerkrankungen als Sterbefälle auftreten; d.h. die Zahl der Demenzkranken steigt kontinuierlich an. Die Krankenzahl könnte sich bis zum Jahr 2050 auf rund 3 Millionen erhöhen. Diesem drängenden Versorgungsproblem steht ein Mangel an bedarfsgerechten, versorgungsrisikoadaptierten und wissenschaftlich evaluierten Interventionsmöglichkeiten gegenüber. Das Modell DemStepCare besitzt das Potential, diese Lücke zu schließen. Hinsichtlich der koordinierten Kooperation und Koordinationsleistungen wird auf der Rechtsgrundlage des §140 a SGB V ein IV-Vertrag angestrebt. Die Patientenversorgung durch die Krisenambulanz und das Case Management sollen nach der Projektlaufzeit z.B. mit Pauschalen nach § 120 SGB V, die mit den Kostenträgern verhandelt werden, vergütet werden.

Anmerkung: Die Studie (Antrags-ID: NVF1_2018-104) wurde vom Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss unter Auflagen zur Förderung ausgewählt; der endgültige Förderbescheid wird für Ende März 2019 erwartet. Der geplante Projektbeginn ist 01.04.2019.