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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Double Duty Carer im Versorgungssystem – positive und negative Aspekte einer Doppelrolle

Meeting Abstract

  • Kerstin Thümmler - Evangelische Hochschule Dresden (ehs), Forschung, Dresden, Germany
  • Irén Horváth-Kadner - Evangelische Hochschule Dresden (ehs), Forschung, Dresden, Germany
  • Heidi Clasen - Technische Hochschule Dresden (HTW), Arbeitsgruppe Human Factors and Resources, Dresden, Germany
  • Wilhelm Beckmann - Technische Hochschule Dresden (HTW), Arbeitsgruppe Human Factors and Resources, Dresden, Germany
  • Anne-Katrin Haubold - Technische Hochschule Dresden (HTW), Arbeitsgruppe Human Factors and Resources, Dresden, Germany
  • Thomas Fischer - Evangelische Hochschule Dresden (ehs), Professur für Pflegewissenschaft mit Schwerpunkt Altenpflege/Gerontologie, Dresden, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf248

doi: 10.3205/19dkvf248, urn:nbn:de:0183-19dkvf2487

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Thümmler et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Gesundheitsfachpersonen sorgen oft auch privat für pflegebedürftige Angehörige und Bekannte. Personen in dieser beruflich-privat versorgenden Doppelrolle werden international als «Double-Duty Carer» (DDC) bezeichnet. Die Vereinbarkeit der beruflich-privat versorgenden Doppelrolle hat zwei Seiten. Sie birgt einerseits Risiken (Konflikte), bringt aber auch positive Aspekte (Enrichment) mit sich.

Basierend auf einem modifizierten Modell zur Work-Family-Balance von Greenhaus & Allen (2011) werden beide Seiten der Doppelrolle betrachtet. Ziel ist es positive und negative Aspekte der Doppelrolle und ihre Wechselwirkung zu analysieren.

Die folgende Fragestellung ist eine Teilfragestellung des Projektes „Double Duty Carers in Deutschland – Verbesserung der Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Pflegeaufgabe“.

Fragestellung: Wie erleben Gesundheitsfachpersonen mit privater Angehörigenpflege ihre Doppelrolle als pflegende Angehörige und Professionelle im Versorgungsystem?

Methode: Es wurde eine cluster-randomisierte, bundesweite Befragung bei Pflegekräften in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen durchgeführt und Angaben zu positiven und negativen Facetten der Vereinbarkeit (u.a. Balance-Check) sowie des Berufsverbleibs erbeten. Bei DDC wurden zudem Aufgaben, Umfang, Unterstützung sowie Erwartungen in der Angehörigenpflege erfragt.

Die Auswertung erfolgte mittels deskriptiver statistischer Verfahren und hierarchischer Regressionsanalysen. Zudem wurden Interviews mit DCC, mit Fokus auf das Erleben der Doppelrolle durchgeführt. Die Auswertung basierte auf der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Es wurde ein deduktiv-induktiver Ansatz verfolgt.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zur positiven Seite der Doppelrolle zeigen, dass die doppelte Versorgungsverantwortung eine Bereicherung im Sinne eines Zugewinns an Kompetenzen bedeuten kann. DDC profitieren von einem Kompetenzübertrag von Beruf zur privaten Angehörigenpflege, indem sie ihr Fachwissen bei der Bewältigung der privaten Angehörigenpflege nutzen.

Umgekehrt bringen sie ihr Erfahrungswissen aus der privaten Angehörigenpflege an verschiedenen Schnittstellen ihrer beruflichen Tätigkeit ein. Gegenüber Patienten/innen und deren Angehörigen zeigen sie größeres Verständnis für deren Situation, Ängste und Sorgen und können insbesondere mit schwierigen Situationen flexibler umgehen. Ihre Erfahrungen aus der privaten Angehörigenpflege ermöglichen es ihnen, die Versorgungssituation der Patienten/innen und Angehörigen in einen größeren Kontext einzuordnen. Vorausschauend stellen sie weiterführende Informationen zu Versorgungsleistungen für die private Angehörigenpflege zur Verfügung, machen auf Risiken aufmerksam und denken Auswirkungen nicht vorhandener Informationen für Patienten/innen und deren Angehörige mit. Zudem profitieren die Kollegen fachlich von den Erfahrungen der DDC. So sensibilisieren sie für das Verständnis der Situation von pflegenden Angehörigen, unterstützen Kollegen im Umgang mit Patienten/innen und Angehörigen in schwierigen Situationen und helfen bei der Beratung zu familialen Pflegeaufgaben. Zudem unterstützen sie informell und emotional andere DDC im Unternehmen.

Zur negativen Seite gehört, dass von pflegebedürftigen Angehörigen oder Familienmitgliedern an die DDC die Erwartung herangetragen wird, auch privat die Versorgung(-verantwortung) zu übernehmen. Steigen die Erwartungen nehmen Zeit- und Beanspruchungskonflikte zu und Enrichment ab. Zudem zeigt sich ein hoher Zusammenhang zwischen der Beanspruchung durch Konflikte in der Vereinbarung von Beruf und privater Angehörigenpflege und der Neigung der DDC, den Beruf in den nächsten 12 Monaten aufzugeben.

Diskussion: DDC bringen durch ihre Erfahrungen dem Versorgungssystem gleich einen doppelten Mehrwert. Einerseits hilft ihnen ihr Fachwissen bei der Versorgung ihrer pflegebedürftigen Angehörigen. Anderseits bringen sie ihre Erfahrungen aus der privaten Angehörigenpflege im Beruf ein. Für Arbeitgeber folgt daraus die Empfehlung, diesen Kompetenzgewinn gezielter in der Aufgabenzuweisung zu nutzen. Die Kehrseite der Medaille birgt Erwartungs- und Beanspruchungskonflikte, die aus der doppelten Versorgungsverantwortung entstehen und in einer Berufsaufgabe münden können. Hier sollte das Versorgungssystem stärker für seine Mitarbeiter/innen da sein und Lösungswege bieten, die die Belange der DDC berücksichtigen.

Praktische Implikationen: Angesichts des Fachkräftemangels in der Gesundheitsbranche ist der Arbeitgeber gefordert mit den DDC Wege einer besseren Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Versorgungsaufgaben zu finden.

DDC könnten besondere Aufgaben in der Kommunikation mit Angehörigen wahrnehmen oder in die Entwicklung von Konzepten zur Angehörigenarbeit involviert werden, z.B. zur Verbesserung einer proaktiveren und umfassenderen auf die individuelle Versorgungssituation der Patienten/innen und deren Angehörige ausgerichteten Informationsweitergabe.