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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Mundgesundheit Pflegebedürftiger: Baseline-Ergebnisse der Evaluation einer neuen Versorgungsform

Meeting Abstract

  • Jonas Czwikla - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Ambulante Versorgung und Pharmakoepidemiologie, Oldenburg, Germany
  • Alexandra Herzberg - Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Gesundheit, Pflege und Alterssicherung, Bremen, Germany
  • Sonja Kapp - Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Gesundheit, Pflege und Alterssicherung, Bremen, Germany
  • Falk Hoffmann - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Ambulante Versorgung und Pharmakoepidemiologie, Oldenburg, Germany
  • Heinz Rothgang - Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Gesundheit, Pflege und Alterssicherung, Bremen, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf244

doi: 10.3205/19dkvf244, urn:nbn:de:0183-19dkvf2440

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Czwikla et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Pflegebedürftige Menschen haben im Vergleich zu nicht Pflegebedürftigen eine schlechtere Mundgesundheit, die zu einem erhöhten zahnmedizinischen Versorgungsbedarf führt. Da Pflegebedürftige im Vergleich zu Nichtpflegebedürftigen jedoch eine niedrigere Inanspruchnahme zahnmedizinischer Leistungen aufweisen, wird davon ausgegangen, dass ein Teil der Pflegebedürftigen zahnmedizinisch unterversorgt ist. Barrieren der zahnärztlichen Versorgung ergeben sich insbesondere bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen. Diese liegen sowohl auf Seiten der Pflegebedürftigen selbst als auch auf Seiten der Leistungserbringer. Während Pflegebedürftige aufgrund ihrer Einschränkungen häufig Schwierigkeiten haben, zahnmedizinische Versorgungsbedarfe zu kommunizieren und eine zahnärztliche Praxis aufzusuchen, ist die Versorgung Pflegebedürftiger für Zahnärztinnen und Zahnärzte oftmals mit einem erhöhten Aufwand verbunden. Zur Behebung des bestehenden zahnmedizinischen Versorgungsdefizits ambulant versorgter Pflegebedürftiger bedarf es daher innovativer Ansätze, die sowohl die Barrieren auf Seiten der Pflegebedürftigen als auch auf Seiten der Leistungserbringer adressieren.

Fragestellung: In dem mit Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss geförderten Projekt wird untersucht, ob eine neue Versorgungsform in Form einer zugehenden, niedrigschwelligen und aufsuchenden zahnärztlichen Statuserhebung der Mundgesundheit von ambulant versorgten Pflegebedürftigen und einer Schulung zur individuellen Mundgesundheit unter Einbezug der Pflegepersonen durch fortgebildete Zahnmedizinische Fachangestellte im Vergleich zur Regelversorgung zu einer Verbesserung der Mundgesundheit führt.

Methode: Die Evaluation der neuen Versorgungsform erfolgt in einer zweiarmigen randomisierten kontrollierten Studie. Acht kooperierende Betriebskrankenkassen (BKK) rekrutieren ambulant versorgte Pflegebedürftige, die in Bremen oder Niedersachsen wohnen und bei der jeweiligen BKK versichert sind. Die rekrutierten Versicherten werden nach BKK stratifiziert im Verhältnis 1:1 in die Interventions- und Kontrollgruppe randomisiert. In der Interventionsgruppe wird zum Zeitpunkt t1 die neue Versorgungsform erbracht. Die Kontrollgruppe erhält die neue Versorgungsform nicht. Nach 6 Monaten wird zum Zeitpunkt t2 sowohl in der Interventions- als auch in der Kontrollgruppe eine zahnärztliche Erhebung der Mundgesundheit durchgeführt.

Ergebnisse: Von 9.637 angeschriebenen Pflegebedürftigen wurden 527 (5,5%) Pflegebedürftige rekrutiert. 259 Pflegebedürftige wurden in die Interventions- und 268 in die Kontrollgruppe randomisiert. In der Interventionsgruppe konnte mit 135 der 259 Pflegebedürftigen (52,1%) ein Termin für die Erbringung der neuen Versorgungsform vereinbart werden. Die Statuserhebung der Mundgesundheit wurde bei 126 Pflegebedürftigen durchgeführt. Bei Pflegebedürftigen mit eigenen Zähnen wurde deren Zustand in 14,2% der Fälle als schlecht beurteilt. Der Zustand von Mundschleimhaut, Zunge und Zahnfleisch wurde in 10,3% der Fälle als schlecht beurteilt. Bei Pflegebedürftigen mit Zahnersatz wurde dessen Zustand in 21,1% der Fälle als schlecht beurteilt. Zahnmedizinischer Behandlungsbedarf wurde bei 62,7% der Fälle festgestellt. Dieser bezog sich am häufigsten auf Zahnersatz, gefolgt von der Kategorie Zahnfleisch/Mundschleimhaut sowie Füllungen. Von den untersuchten Pflegebedürftigen benötigten 15,1% teilweise und 10,3% volle Unterstützung bei der Mund-, Zahn- und Prothesenpflege. Zahnbelag wurde bei 46,8% der Fälle identifiziert. Eine Schulung zur individuellen Mundgesundheit wurde bei 92,1% der Fälle durchgeführt. Zudem wurde bei 65,1% der Fälle eine weiterführende Versorgung in Zahnarztpraxen koordiniert.

Diskussion: Die Bereitschaft der ambulant versorgten Pflegebedürftigen an der Studie teilzunehmen war gering und es konnte nur mit etwas mehr als der Hälfte der teilnehmenden Pflegebedürftigen ein Termin für die Erbringung der neuen Versorgungsform vereinbart werden. Die Ergebnisse der Baseline-Erhebung bestätigen, dass ein Teil der ambulant versorgten Pflegebedürftigen eine schlechte Mundgesundheit hat. Durch die neue Versorgungsform ist es gelungen, einen Großteil der teilnehmenden Pflegebedürftigen zur individuellen Mundgesundheit zu schulen. Bei zwei Dritteln der teilnehmenden Pflegebedürftigen wurde darüber hinaus eine weiterführende Versorgung in Zahnarztpraxen koordiniert.

Praktische Implikationen: Mit der neuen Versorgungsform in Form eines zugehenden, niedrigschwelligen und aufsuchenden Ansatzes wurde ein kleiner Teil der ambulant versorgten Pflegebedürftigen erreicht. Mehr als die Hälfte der erreichten Pflegebedürftigen wies zahnmedizinischen Behandlungsbedarf auf. Die erreichten Pflegebedürftigen wurden geschult und es wurden weiterführende zahnärztliche Versorgungsleistungen koordiniert. Inwiefern die neue Versorgungsform zu einer qualitativen Verbesserung der Mundgesundheit führt, wird ab Sommer 2019 untersucht.