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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Notfallversorgung von Pflegeheimbewohnern in Deutschland: ein Vergleich von kassenärztlichem Bereitschaftsdienst, Notaufnahmebesuchen und akuten Krankenhauseinweisungen

Meeting Abstract

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  • Alexander Maximilian Fassmer - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Oldenburg, Germany
  • Falk Hoffmann - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften, Department für Versorgungsforschung, Ambulante Versorgung und Pharmakoepidemiologie, Oldenburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf239

doi: 10.3205/19dkvf239, urn:nbn:de:0183-19dkvf2392

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Fassmer et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Durch den anhaltenden demographischen Wandel wird in Deutschland die Zahl der Pflegeheimbewohner in Zukunft weiter steigen. Aufgrund eines insgesamt schlechteren Gesundheitszustandes verglichen mit in der eigenen Häuslichkeit lebenden Senioren erfolgen bei Pflegeheimbewohnern häufig Notfallbehandlungen. Diese Anzahl ist in Deutschland zusätzlich höher als in anderen westlichen Ländern. Existierende Studien betrachteten jedoch meistens nur einzelne Akteure der Notfallversorgung oder sind aufgrund von unterschiedlichen Gegebenheiten nicht auf das deutsche Gesundheitssystem übertragbar.

Fragestellung: Wie häufig werden Pflegeheimbewohner durch den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst (KAB) sowie ambulant in Notaufnahmen (NFA) und als Akuteinweisungen in Krankenhäusern (AKH) behandelt und wie unterscheiden sich die jeweiligen Behandlungen und Bewohner?

Methode: Für diese Kohortenstudie wurden anonymisierte Krankenkassendaten der AOK Bremen/Bremerhaven der Jahre 2014 und 2015 verwendet. Zur Berechnung von Inzidenzraten mit 95% Konfidenzintervallen (KI) wurden für Personen, die ab dem 01. Januar 2014 erstmals vollstationäre Dauerpflege erhielten und wohnhaft im Bundesland Bremen waren, alle Inanspruchnahmen von KAB, NFA und AKH ausgewertet. Die Inzidenzen wurden nach Alter, Geschlecht und Pflegestufe stratifiziert und zusätzlich wurden die drei Bereiche hinsichtlich der zugrundeliegenden Diagnosen sowie der Verteilung der Behandlungen auf die Wochentage miteinander verglichen.

Ergebnisse: Für die Analysen konnten 1.665 Bewohner eingeschlossen werden (Durchschnittsalter: 80,5 Jahre; 66,3% weiblich). 3.576 Notfallbehandlungen (44,2% AKH; 35,8% KAB; 20,0% NFA) resultierten in eine Gesamtinzidenz von 2,7 Ereignissen pro Personenjahr (95% KI: 2,6–2,8). Männer hatten eine deutlich höhere Inzidenz als Frauen (3,2 vs. 2,4). Ebenfalls für alle drei Akteure fanden sich höhere Inanspruchnahmen durch Personen mit höherer Pflegestufe. Insbesondere AKH traten mit steigendem Alter weniger häufig auf. Hinsichtlich der Verteilung der Behandlungen auf die Wochentage konnten für KAB-Kontakte deutliche Unterschiede festgestellt werden mit den höchsten Werten am Wochenende. Während zu Inanspruchnahmen der NFA mit Abstand am häufigsten Verletzungen führten (insb. Kopfverletzungen), zeigte sich bei KAB-Kontakten und AKH ein breiteres Spektrum an Diagnosen.

Diskussion: Obwohl Krankenhausbehandlungen für Pflegeheimbewohner mit Belastungen verbunden sind und erwünschte Folgen haben können, finden diese bei akuten Zustandsverschlechterungen häufig statt, was auch die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen. Unterschiede hinsichtlich der den Behandlungen zugrundeliegenden Diagnosen sind vermutlich in großen Teilen auf die Behandlungsdringlichkeit zurückzuführen. Da Bremen das einzige Bundesland ist, wo für ambulante NFA-Besuche separate Abrechnungsziffern zur Verfügung stehen, war die Studienpopulation im Vergleich mit anderen Studien kleiner. Jedoch konnten mit dieser Analyse erstmals teils erhebliche Unterschiede zwischen den Inanspruchnahmen von KAB, NFA und AKH durch Pflegeheimbewohner gezeigt werden.

Praktische Implikationen: Die internationale Studienlage zeigt, dass viele NFA-Besuche und AKH von Pflegeheimbewohnern unangebracht oder potenziell vermeidbar sind. Die vorliegende Arbeit zeigt das Ausmaß von Krankenhaustransporten für eine deutsche Population, eine Einschätzung zur Angemessenheit ist unter Verwendung von administrativen Daten allerdings nicht möglich. Die gewonnenen Erkenntnisse werden jedoch eine Unterstützung in der Ausgestaltung von Primärdatenerhebungen sein, um Pflegeheimbewohner in Akutsituation genauer charakterisieren zu können, den Entscheidungsprozess zum Krankenhaustransfer näher zu beleuchten und zu versuchen, die Angemessenheit von Krankenhausbehandlungen dieser vulnerablen Bevölkerungsgruppe einzuschätzen.