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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Welche Auswirkungen hat die Schließung einer pädiatrischen Abteilung in einer ländlichen Region auf die notfallmedizinische Versorgung der Region?

Meeting Abstract

  • Angelika Beyer - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abt. VC, Greifswald, Germany
  • Ulrike Stentzel - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Greifswald, Germany
  • Kilson Moon - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Greifswald, Germany
  • Wolfgang Hoffmann - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Greifswald, Germany
  • Neeltje van den Berg - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Greifswald, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf212

doi: 10.3205/19dkvf212, urn:nbn:de:0183-19dkvf2128

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Beyer et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Für viele kleinere Krankenhäuser ist die Auslastung ihrer Abteilungen eine Herausforderung, was häufig dazu führt, dass diese Abteilungen wirtschaftlich nicht effizient betrieben werden können. Gleichzeitig sind geringe Fallzahlen ein Risiko für die Gewährleistung der Versorgungsqualität. Daher werden wenig ausgelastete Abteilungen häufig nicht weiter betrieben. Das Beispiel in dieser Analyse ist die pädiatrische Station eines Kreiskrankenhauses in einer ländlichen Region in Mecklenburg-Vorpommern, die am 1. Februar 2016 geschlossen wurde.

Fragestellung: Die vorliegende Untersuchung analysiert, welche spezifischen Auswirkungen die Schließung der pädiatrischen Abteilung auf die Notfalleinsätze per Rettungstransportwagen (RTW) in deren ehemaliger Einzugsregion hatte.

Methode: Für die Analysen wurden Daten von Rettungseinsätzen (Anforderung per 112) aller unter 18-jährigen Patienten des Eigenbetriebes Rettungsdienst der betroffenen Region ausgewertet. Die Einsatzdaten liegen auf Ebene der fünfstelligen Postleitzahlen für den Einsatzort vor. Die Beobachtungsregion beinhaltet 12 Postleitzahlenbereiche. Um Veränderungen in der Anzahl der Rettungseinsätze identifizieren zu können, wurden die zwei Kalenderjahre vor der Schließung (2014-2015) mit den zwei Kalenderjahren danach (2016-2017) verglichen (Analysezeitraum 1.1.2014 bis 31.12.2017). Ausgewertet wurde die Anzahl der RTW-Einsätze jeweils für die Kalenderjahre insgesamt sowie aufgeschlüsselt nach Monaten, Wochentagen und Wochenenden (Definition: freitags 16 Uhr bis sonntags 24 Uhr, da während dieser Zeit innerhalb der nächsten 8 Stunden kein Kinderarzt konsultiert werden kann). Analysiert wurden zusätzlich die Einsatz-Startzeiten (volle Stunden) und ausgewählte Einsatzorte (bspw. das Krankenhaus der Region). Die Einsatzzahlen wurden in Relation zur unter 18-jährigen Wohnbevölkerung des Jahres 2016 gesetzt (n=8929, Stand 31.12., Quelle: Regionaldatenbank der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder).

Ergebnisse: Insgesamt fanden im analysierten Zeitraum in der Beobachtungsregion n=1707 RTW-Einsätze bei unter 18-Jährigen statt (2014 n=361, 2015 n=359, 2016 n=496 und 2017 n=491). Damit betrug die Anzahl der RTW-Einsätze in den zwei Jahren vor Schließung kumulativ 40 pro 1000 unter 18-Jährige (n=720), nach Schließung der pädiatrischen Abteilung waren dies 55 pro 1000 unter 18-Jährige (n=987). Das ist eine Steigerung um 38%. Die monatsbezogene Auswertung zeigt in den Sommermonaten (Juni-August) über alle 4 Jahre des Analysezeitraumes deutlich höhere Einsatzzahlen. Wochentags fanden in der Zeit vor der Schließung n=471 Einsätze statt (nachher n=610; +30%). Am Wochenende waren es vor der Schließung n=249 (nachher n=377; +51%). Bei der Betrachtung der Einsatz-Startzeiten unterscheidet sich die Anzahl im Zeitfenster zwischen 21 und 9 Uhr vor und nach der Schließung nicht. Im übrigen Zeitfenster gibt es teilweise deutliche Unterschiede, insbesondere zwischen 16 und 20 Uhr erhöhten sich die Einsatzzahlen. Bspw. fanden vor der Schließung zwischen 17 und 18 Uhr n=58 Einsätze statt, während es nach der Schließung im gleichen Zeitraum n=95 waren (+64%). In den Jahren 2014/15 war in n=14 Fällen das regionale Krankenhaus der Einsatzort der RTW, in den Jahren 2016/17 stieg diese Zahl auf n=37 Fälle (+164%).

Diskussion: Die Anzahl der RTW-Einsätze bei unter 18-Jährigen ist nach der Schließung der pädiatrischen Abteilung deutlich angestiegen, obwohl die Anzahl der in der Region wohnhaften unter 18-Jährigen nahezu unverändert blieb (von 2014 bis 2016 Anstieg um 0,9%). Die Erhöhung der Einsätze in den Sommermonaten kann mit der wesentlich höheren Anzahl anwesender Personen in Zusammenhang gebracht werden, da die Region Urlaubsregion ist. Besonders deutlich stiegen die Einsatzzahlen an den Wochenenden. Dies könnte daran liegen, dass an Wochenenden keine Kinderarzt-Praxis geöffnet hat, während diese über die Woche die geschlossene Abteilung teilweise kompensieren konnten. Gleiches gilt für die Erhöhung der Einsätze am späteren Nachmittag.

Praktische Implikationen: Die vorliegende Untersuchung bildet eine erste Grundlage der Beurteilung von Auswirkungen der Schließung einer pädiatrischen Abteilung auf die notfallmedizinische Versorgung einer ländlichen Region. Die Erhöhung der Anzahl der Rettungseinsätze spricht dafür, dass Eltern im Bedarfsfall nicht selbst eine weiter entfernte Notaufnahme aufsuchen, sondern unmittelbar den Rettungsdienst alarmieren.