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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Big Data Analytics für die patienten-zentrierte Versorgungsforschung

Meeting Abstract

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  • Timo Schulte - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Management und Innovation im Gesundheitswesen, Witten, Germany
  • Sabine Bohnet-Joschko - Universität Witten/Herdecke, Professur für Management und Innovation im Gesundheitswesen, Witten, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf199

doi: 10.3205/19dkvf199, urn:nbn:de:0183-19dkvf1999

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Schulte et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In patienten- bzw. personen-zentrierten Versorgungssystemen orientiert sich die Leistungserbringung an den Bedürfnissen der betroffenen Patienten anstatt an den Erkrankungen oder an den Sektoren der Leistungserbringung, wie es aufgrund der historischen Entwicklungen häufig noch der Fall ist. Ein Wandel zu einer verstärkten Personenzentrierung, wie er im jüngst vorgestellten Framework der WHO zu "people-centred health services" vorgeschlagen wird, befördert eine ebenfalls stärkere Integration verschiedener Datenquellen bzw. ist eine stärker patientenzentrierte Versorgung gar in hohem Maße von einer gleichgerichteten Zusammenführung von Versorgungsdaten abhängig. Gelingt in Zukunft eine solche Datenintegration, entstehen schnell Datensätze, die zumindest in Teilen den Charakteristika von Big Data gerecht werden, wodurch eine neue Palette von Methoden genutzt werden kann, die das Spektrum der Versorgungsforschung sinnvoll um die Deduktion von Erkentnissen auf Basis großer Datenmengen ergänzt.

Fragestellung: Welche Arten von Big Data Analytics lassen sich für die personen-zentrierte Versorgungsforschung nutzen und was sind die entsprechenden Voraussetzungen?

Methode: Gemäß den Leitlinien des PRISMA-Statements wurde ein systematischer Review zum Suchterminus „Big Data Analytics“ sowie relevanter Thesauri, die durch die Anwendung des Text Mining Algorithmus "Lingo" in der Datenbank von Medline/Pubmed identifiziert wurden (z.B. „Predictive Analytics“), darauf folgend eben einerseits in der gesundheitswissenschaftlichen Datenbank von Medline/Pubmed sowie andererseits in der informations-wissenschaftlichen Datenbank dblp durchgeführt. Die Publikationen in den Suchergebnissen wurden von zwei Wissenschaftlern unabhängig voneinander hinsichtlich der Relevanz zur Beantwortung der Forschungsfragen bewertet und ins finale Set eingeschlossen, wenn relevante Informationen enthalten waren zu Big Data-Plattformen und -technologien, Datenquellen, analytischen Methoden, Anwendungsbeispielen oder Herausforderungen und Chancen. Letztlich wurden 68 Publikationen für das finale Set konsentiert.

Ergebnisse: Eine patienten-zentrierte Datenplattform, die sämtliche relevanten Gesundheitsinformationen integriert, existiert in ihrer Idealform, die im Laufe des Reviews herausgearbeitet wurde, derzeit noch in keinem Gesundheitssystem, jedoch befinden sich z.B. Estland und Finnland auf einem vielversprechenden Weg. Die bis dato am häufigsten genutzten Datenquellen in der (Versorgungs-)Forschung, die mittels Big Data Analytik bearbeitet wurden, sind Biomarker (~39%), medizinische Bilddateien (~31%) und smarte Sensoren bzw. Telehealth Devices (~16%). Da Daten aus elektronischen Gesundheitsakten (~5%) bzw. Krankenkassen-Routinedaten (~2%) für sich genommen noch nicht die klassischen Bedingungen von Big Data erfüllen, wurden entsprechende Auswertungsmethoden darauf basierend im Vergleich deutlich seltener eingesetzt, was sich jedoch im Zuge einer durch voranschreitende Digitalisierung zusätzlich beförderten Datenintegration vermutlich mittel- bis langfristig ändern wird. Die derzeit im Gesundheitswesen am häufigsten eingesetzten Big Data Analysemethoden entstammen dem (un-)überwachten Machine Learning wie etwa Random Forests, Support Vector Machines, k-means Clustering, Artificial Neural Networks oder Naive Bayesian Networks. Die häufigsten Anwendungsfälle sind Verbesserungen der Diagnostik, Identifikation ähnlicher Patienten-Subgruppen und Versorgungslücken sowie Prädiktionen von Krankheitsverläufen, kritischen Events inkl. Krankenhausfällen, (Hoch-)Kosten oder (un-)erwünschter medizinischer Outcomes.

Diskussion: Die größten Herausforderungen zukünftig verstärkter Big Data Analytics im Gesundheitswesen sind nicht ausschließlich aber hauptsächlich technischer Natur (z.B. Schnittstellen, Dateninkonsistenzen), methodischer Natur (z.B. Datenqualität, Kausalität) bzw. finanzieller oder politischer Natur (z.B. Datenschutz, Bereitschaft zu massiver Investition).

Praktische Implikationen: Big Data Analytics bieten – eine patienten-zentrierte Datenplattform mit ausreichend Datenquellen vorausgesetzt – ein enormes Potenzial, um z.B. klassische Observationsstudien zu ergänzen und weitere Erkenntnisse aus der Versorgungsrealität abzuleiten, welche einerseits eine bedarfsgerechtere Verteilung von Ressourcen und andererseits ein besseres Verständnis der komplexen, interdependenten Faktoren, welche die Gesundheit beeinflussen, ermöglichen können, um entsprechende Entscheidungsprozesse im Gesundheitswesen zu unterstützen.