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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Das Entlassmanagement deutscher Krankenhäuser im Umgang mit kognitiv beeinträchtigten, älteren Menschen – ein Scoping Review

Meeting Abstract

  • Fanny Schumacher-Schönert - German Centre for Neurodegenerative Diseases e.V. (DZNE), DZNE Rostock/ Greifswald, Greifswald, Germany
  • Wolfgang Hoffmann - Institut für Community Medicine, “Epidemiology of Health Care and Community Health”, Greifswald, Germany
  • Jochen René Thyrian - Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) e.V., Interventionelle Versorgungsforschung, Greifswald, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf185

doi: 10.3205/19dkvf185, urn:nbn:de:0183-19dkvf1856

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Schumacher-Schönert et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In deutschen Krankenhäusern sind etwa 40% aller Patienten ab 65 Jahren kognitiv beeinträchtigt. Diese Patienten bedürfen viel mehr als der üblichen Akutbehandlung und weisen ein weit höheres Risiko, in ein Krankenhaus eingewiesen zu werden, auf, als Gleichaltrige ohne Demenz. Die Betreuung dieser Patienten erfordert besondere Unterstützung und Flexibilität und stellt eine enorme Herausforderung für das Krankenhauspersonal dar. Das deutsche Gesundheitssystem steht insbesondere vor dem Hintergrund der drei Sektorengrenzen (1. ambulante Behandlung und Versorgung, 2. stationären Behandlung und Versorgung, 3. der Rehabilitation) im Umgang mit kognitiv beeinträchtigten Menschen und dem Anspruch nach Kontinuität, Ganzheitlichkeit und Integrität vor enormen Herausforderungen. Diese betreffen insbesondere die Schnittstelle zwischen Krankenhaus und dem häuslichen Leben; Krankenhausentlassungen treten oftmals unerwartet ein, Vorbereitungen der Pflegeeinrichtungen werden als unzureichend beschrieben. Darüber hinaus steht nach der Entlassung aus dem Krankenhaus oft keine Kontaktperson zur Verfügung und die Organisation und Koordination der medizinischen Nachsorge muss von den Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen selbst oder -sofern vorhanden- deren pflegenden Angehörigen übernommen werden. Versorgungslücken führen zu einer vorzeitigen Institutionalisierung, erhöhen die Wahrscheinlichkeit an Wiedereinweisungen ins Krankenhaus und das Sterberisiko signifikant. Krankenhausentlassungen von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sollten so geplant werden, dass Ihnen die Rückkehr in die Häuslichkeit erleichtert wird.

In den letzten Jahren wurden sehr viele Bemühungen um das Entlassmanagement (EM) deutscher Krankenhäuser unternommen; unter anderem wurden Expertenstandards definiert und das EM für Krankenhäuser wurde gesetzlich verpflichtend im SGB V verankert. Trotzdem eine große Homogenität hergestellt werden konnte, fehlt es übergreifend an einheitlichen Standards und evaluierten (Begleit-) Konzepten zum Umgang mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen.

Zielsetzung: Das Ziel der Übersichtsarbeit ist es, den Stand der Wissenschaft zu den Kernthemen „Entlassmanagement in einem Akutkrankenhaus“ – „kognitive Beeinträchtigung“ oder „Demenz“ in der deutschen Krankenhauslandschaft zu eruieren und anhand des vorliegenden Materials die Notwendigkeit eines evaluierten Begleitkonzeptes zwischen den Sektorengrenzen herauszustellen.

Material und Methoden: Die Übersichtsarbeit wurde in Form eines Scoping Reviews mit der wissenschaftlichen Literaturdatenbank „PubMed“ durchgeführt. Als Suchleitwörter wurden “cognitive impairment OR dementia AND hospital OR acute care AND discharge OR transition AND germany AND primary care” verwendet. Zuvor erzielte die Stichwortsuche mit den Leitbegriffen „dementia AND hospital AND germany AND discharge“ lediglich 40 Treffer. Unter Einbezug der AND/OR-Bedingung konnten 369 Artikel einem Titelscreening unterzogen werden. 81 Artikel wurden für das darauffolgende Abstractscreening herangezogen. Aus dem Abstractscreening wurden Artikel ausgeschlossen, die bereits dem Titel nach aufgrund ihres Kernthemas nicht relevant schienen; unter anderem wurden Studien zur Krebs-, Herz- Kreislauf- und der Transplantationsforschung direkt aussortiert. Eingeschlossen wurden Artikel mit Kernthemen zu(r) geriatrischen Patienten, Demenzpflege im Krankenhaus, kognitiv beeinträchtigten Menschen und Artikel mit direktem Bezug zu einem Entlassmanagement aus dem Akutkrankenhaus.

Ergebnisse: In die abschließende Analyse wurden 13 wissenschaftliche Artikel eingeschlossen, aus denen weitere Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Schwierigkeiten und Innovative Ansätze herausgestellt wurden. Dabei fiel insbesondere auf, dass Interventionseffektmessungen auf der Patientenebene fehlten.

Diskussion: Der World Alzheimer Report 2016 stellt in einleitenden Worten prägnant heraus, dass die Betreuung von Menschen mit Demenz kontinuierlich, ganzheitlich und integrativ sein sollte. Wissenschaftlich evaluierte Konzepte zum Umgang mit kognitiv beeinträchtigten, älteren Menschen im Übergang der Sektorengrenzen sind jedoch ausgesprochen rar, patientenzentrierte Interventionseffekte fehlen. Ergebnisse und weitere Entwicklungstendenzen können gerne weiter diskutiert werden.

Praktische Implikation: Das vorliegende Review ist, dem Leitgedanken des Kongresses gerecht werdend, („gemeinsam Verantwortung übernehmen für ein lernendendes Gesundheitssystem“) ein erster Baustein zur Schaffung eines Bewusstseins und der Notwendigkeit für ein übergreifendes Versorgungssystem kognitiv beeinträchtigter Menschen. Die Ergebnisse geben einen umfassenden Überblick der Versorgungslandschaft zu den benannten Stichwörtern und regen dazu an, Heterogenitäten in der intersektoralen Versorgung weiter abzubauen.