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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Patientenpräferenz im Spannungsfeld zwischen Mindestmengen und flächendeckender Versorgung am Beispiel der elektiven Knietotalendoprothese (Knie-TEP)

Meeting Abstract

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  • Stefanie Buehn - Universität Witten/Herdecke IFOM, Evidenzbasierte Versorgungsforschung, Köln, Germany
  • Jasper Burkamp - Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE), N.N., Köln, Germany
  • Dawid Pieper - Universität Witten/Herdecke IFOM, Evidenzbasierte Versorgungsforschung, Köln, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf170

doi: 10.3205/19dkvf170, urn:nbn:de:0183-19dkvf1707

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Buehn et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Mindestmengen Regelungen (Mm-R) sollen helfen besonders schwierige Eingriffe in einem Krankenhaus (KH) durchführen zu lassen, welches über ausreichend Erfahrung verfügt.

In Deutschland hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für sieben Prozeduren Mm festgelegt, darunter auch die elektive Knie-TEP Operation (OP).

2017 gehörte die Knie-TEP in Deutschland mit 191.272 Eingriffen zu den am häufigsten durchgeführten Operationen und pro Standort liegt die Mm eines KH bei 50 OPs pro Jahr. Für die Knie-TEP ist ein Zusammenhang zwischen Ergebnisqualität (EQ) und Leistungsmenge des KH (d.h. Anzahl der Fälle) unklar. Es gibt Hinweise darauf, dass geringere Leistungsmengen mit schlechterer EQ assoziiert sind. Die Patientenperspektive wurde im Zusammenhang mit der Mm-Debatte bislang noch nicht untersucht.

Fragestellung: Ziel der Studie ist es, zu überprüfen, ob Patienten in Deutschland bereit sind, längere Fahrzeiten zum KH für eine verbesserte EQ in Form von reduzierter 90-Tage Mortalität und reduziertem Revisionsrisiko bei einer Knie-TEP in Kauf zu nehmen und zu überprüfen, welche Merkmale diese Entscheidung beeinflussen.

Methode: Teilnehmer (TN) wurden aus der Klinik und über zufällige Stichproben von Einwohnermeldeämter (EMA) rekrutiert und im Rahmen eines Discrete Choice Experiments (DCE) befragt. Die TN sollten sich vorstellen, sie bräuchten eine Knie-TEP und erhielten eine Patienteninformation über die OP-Risiken 90-Tage Mortalität und Revisionsrisiko bei der Knie-TEP. Im Anschluss wurden ihnen unterschiedliche Entscheidungsszenarien sowohl als Piktogramme als auch als Zahlen vorgelegt. TN sollten sich zwischen zwei KH entscheiden, welche unterschiedlich lange Fahrzeiten (15 (KH1) versus 90 Minuten(KH2)) hatten. Im Ausgangsszenario wurden die Risiken in beiden KH gleich gehalten. Entschied sich der TN für das lokale KH1, wurde das Risiko im entfernten KH2 reduziert und erneut die Präferenz abgefragt. Das Experiment endete sobald der TN sich für eine OP in KH2 entschied.

Anhand deskriptiver Statistik wurde das Entscheidungsverhalten ausgewertet. Logistische Regressionsmodelle wurden verwendet, um Merkmale zu identifizieren, die die Entscheidung beeinflussen.

Ergebnis: Insgesamt wurden 180 TN befragt. Zu Beginn betrug die 90-Tage Mortalität in beiden KH 1%. 1,1% der TN entschieden sich trotz gleicher Risiken direkt für das weiter entfernte KH2. Der größte Anteil der TN (71,7%) zeigte eine niedrige Präferenz bezüglich einer lokalen Behandlung. Sie entschieden sich bei einem um 0,2 (47,8%) bzw. 0,4 (22,8%) Prozentpunkte niedrigerem Risiko in KH2 für eben dieses. TN in der Gruppe mit moderater Präferenz (22,2%) entschieden sich bei Risiken in KH2 von 0,4% (8,9%), 0,2% (5,6%) und 0% (7,8%) für das weiter entfernte KH2. 6.1% der TN zeigten eine hohe Präferenz für KH1 und blieben bei dieser Wahl, obwohl das Risiko dort höher lag.

Das Risiko für eine Revision lag zu Beginn in beiden KH bei 10%. In der Gruppe mit niedriger Präferenz (86,1%) bezüglich einer OP im lokalen KH entschieden sich bei einer Reduktion des Risikos auf 8% 62,8% der TN für das weiter entfernte KH2. Bei einer Reduktion des Risikos auf 6% in KH2 waren 23,3% der TN bereit weitere Wege in Kauf zu nehmen. In der Gruppe mit moderater Präferenz für das lokale KH (10,6%) entschieden sich die TN bei Risiken von 4% (5,6%), 2% (2,8%) und 0% (2,2%) für das weiter entfernte KH2. 3,3% der TN hatten eine hohe Präferenz für KH1.

Für das Risiko der 90-Tage Mortalität zeigten die Variablen „Rekrutierungsart über die EMA“ (p=0,008) und ein „niedriger Schulabschluss (Real- oder Hauptschulabschluss)“ (p=0,031) eine Assoziation mit einer geringen Präferenz für KH2.

Beim Revisionsrisiko zeigte sich bei der Variablen „Wichtigkeit der Erreichbarkeit des KH mit öffentlichem Personennahverkehr“ (p=0,007) dass sich TN, denen die Erreichbarkeit nicht wichtig ist, mit geringerer Wahrscheinlichkeit für KH2 entschieden. Ein weiterer Einflussfaktor war die „erwartete Anzahl Besucher während eines zehntätigen KH-Aufenthaltes“ (p=0,014).

Diskussion: Die Mehrheit der befragten TN ist bereit für eine verbesserte EQ eine längere Anfahrtszeit in Kauf zu nehmen. Bei der Knie-TEP sind die Risiken der 90-Tage Mortalität sowie der Revision vergleichsweise niedrig, insofern ist das Ergebnis, dass die TN bereits bei einer geringen Reduktion des Risikos bereit sind weitere Fahrzeiten in Kauf zu nehmen, überraschend. Es sollte überprüft werden, ob das auch für weitere operative Prozeduren und Outcomes gültig ist.

Praktische Implikationen: Unsere Arbeit unterstreicht die Wichtigkeit der Berücksichtigung von Patientenpräferenzen im Rahmen der Evaluation der Auswirkungen von Mm-R. Der Zugang zu Informationen der einzelnen KH sollte für Patienten erleichtert werden, so dass diese eine informierte Entscheidung treffen können.