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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Pflegende gesucht: Rekrutierung und Bindung von Pflegefachkräften im ländlichen Raum

Meeting Abstract

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  • Lea Raiber - Hochschule Ravensburg-Weingarten, Institut für Angewandte Forschung - Angewandte Sozial- und Gesundheitsforschung, Weingarten, Germany
  • Claudia Boscher - Hochschule Ravensburg-Weingarten, Institut für Angewandte Forschung - Angewandte Sozial- und Gesundheitsforschung, Weingarten, Germany
  • Florian Fischer - Hochschule Ravensburg-Weingarten, Institut für Angewandte Forschung - Angewandte Sozial- und Gesundheitsforschung, Weingarten, Germany
  • Maik H.-J. Winter - Hochschule Ravensburg-Weingarten, Institut für Angewandte Forschung - Angewandte Sozial- und Gesundheitsforschung, Weingarten, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf168

doi: 10.3205/19dkvf168, urn:nbn:de:0183-19dkvf1682

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Raiber et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen umfasst u.a. das Recht auf gute Pflege [1]. Gute berufliche Pflege kann allerdings nur durch eine ausreichende Anzahl und hinreichende Qualifikation von Pflegefachkräften sichergestellt werden. Es besteht jedoch ein Fachkräftemangel, der durch den demografischen Wandel und eine hohe Personalfluktuation in der Pflege verstärkt wird [2]. Vor dem Hintergrund der erwarteten Zunahme an Pflegebedürftigen und regional unterschiedlich stark ausgeprägter Personalengpässe ergeben sich insbesondere für ländliche Regionen große Herausforderungen. Insofern steigt die Relevanz von Rekrutierungs- und Bindungsmaßnahmen in der Pflege sowohl grundsätzlich als auch mit Blick auf raumstrukturelle Unterschiede weiter an. Analysen, die diese Unterschiede fokussieren, sind folglich nötig, um gezielte Personalmanagementstrategien zu entwickeln.

Fragestellung: Im Rahmen eines Teilprojektes des interdisziplinären Forschungsprojektes ZAFH care4care (Förderung: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg; EFRE-Strukturfond) wurde in der ländlich geprägten Region Bodensee-Oberschwaben erstens der Frage nachgegangen, welche Strategien zur Fachkräfterekrutierung und -bindung durch Pflegeunternehmen eingesetzt werden. Zweitens ging es darum zu erfassen, welche Herausforderungen und Potentiale dabei existieren und drittens inwieweit sich städtische und ländliche Regionen diesbezüglich unterscheiden.

Methode: Die Studie ist als sequenzielles Mixed-Methods-Design angelegt. In einer Vorstudie wurden zwei Fokusgruppen mit insgesamt zwölf Personalverantwortlichen aus Pflegeeinrichtungen durchgeführt und mithilfe der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse ausgewertet [3]. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage zur Erstellung eines Fragebogens für die Hauptstudie, eine quantitative schriftliche Erhebung. Die als Vollerhebung konzipierte Befragung richtete sich an alle in der Region ansässigen Pflegeeinrichtungen (N=207) aus den Versorgungssettings der akutstationären, langzeitstationären, ambulanten und rehabilitativen Pflege (Rücklauf 28,5%). Die Analyse der Daten erfolgte uni- und bivariat.

Ergebnisse: Für etwa zwei Drittel (66,8%) der befragten Pflegeunternehmen war die Gewinnung von Fachkräften ein großes Problem. Ein ähnlich hoher Anteil (68,8%) bewertet die Fachkräftegewinnung als den aktuell dringendsten Handlungsbedarf für die Einrichtung. Derzeit ist jede zehnte befragte Einrichtung häufig mit Abwerbung als Ausscheidungsgrund konfrontiert. Das Problem der Gewinnung von Fachkräften wird größer eingeschätzt, je häufiger eine Einrichtung von Abwerbung (r=.47) oder Wohnortwechseln des Personals in eine städtische Region (r=.38) betroffen ist. Nahezu alle befragten Personalverantwortlichen teilen die Meinung, dass bereits heute Einrichtungen selbst aktiv um Fachkräfte werben müssen.

Die Erfolgseinschätzung und Anwendung von Maßnahmen zur Fachkräfterekrutierung und -bindung divergieren teilweise: Bei Strategien zu materiellen Anreizen wird der Erfolg durchweg hoch bewertet, wohingegen eine Anwendung seltener stattfindet. Im Gegensatz dazu wird bspw. die Maßnahme der Präsenz der Einrichtung auf Ausbildungsmessen häufig angewandt, obwohl der Erfolg gering eingeschätzt wird. Regionale Unterschiede zeigen sich bei Rekrutierungs- und Bindungsmaßnahmen ebenso wie bei Ausscheidungsgründen. Im ländlichen Raum sieht bspw. jede zehnte Einrichtung den Firmenwagen zur Privatnutzung als das größte zukünftige Potential in Bezug auf materielle Anreize.

Diskussion: Die Divergenz zwischen Erfolgseinschätzung und Anwendung von Maßnahmen, überwiegend bei materiellen Anreizen, weist darauf hin, dass den Personalverantwortlichen Handlungsmacht und Ressourcen fehlen, um die präferierten bzw. erfolgreich bewerteten Maßnahmen umzusetzen. Es werden außerdem regionale Unterschiede deutlich, welche die Notwendigkeit von spezifischen Strategien für ländliche Regionen aufzeigen. Zudem lassen sich personalpolitische Herausforderungen und Möglichkeiten, wie bspw. mehr Spielräume für materielle Anreize oder Flexibilität in den Strukturen, identifizieren.

Praktische Implikationen: Auf Grundlage der Studie können Maßnahmen für erfolgreiches, raumstrukturell angepasstes Personalmanagement in der Pflege identifiziert werden, sodass strukturell bedingte Ungleichheiten in der pflegerischen Versorgung reduziert werden können und eine gute Pflegeversorgung im städtischen als auch im ländlichen Raum gelingt.


Literatur

1.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Hrsg. Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. 13. Aufl. 2019.
2.
Ostwald DA, Ehrhard T, Bruntsch F, Schmidt H, Friedl C. Fachkräftemangel. Stationärer und ambulanter Bereich bis zum Jahr 2030. PricewaterhouseCoopers AG; 2010.
3.
Kuckartz U. Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 3. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa; 2016.