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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Eine Ärztebefragung zur Rolle und Funktion von Zentren für Seltene Erkrankungen in der Versorgung von Patienten mit Seltenen Erkrankungen in Deutschland

Meeting Abstract

  • Diana Druschke - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Dresden, Germany
  • Gabriele Müller - Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Dresden, Germany
  • Julia Scharfe - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Dresden, Germany
  • Christine Mundlos - ACHSE e.V., Berlin, Germany
  • Katja Lüloff - AOK Nordost - Die Gesundheitskasse, Berlin, Germany
  • Katrin Christiane Reber - AOK Nordost - Die Gesundheitskasse, Berlin, Germany
  • Sebastian Liersch - AOK Nordost - Die Gesundheitskasse, Berlin, Germany
  • Jochen Schmitt - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Dresden, Germany
  • TRANSLATE-NAMSE Konsortium - Charité Berlin, Institut für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie, Berlin, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf160

doi: 10.3205/19dkvf160, urn:nbn:de:0183-19dkvf1606

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Druschke et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In Deutschland leiden etwa 4 Millionen Menschen an einer der 7.000 bis 8.000 Seltenen Erkrankungen (SE). Bei Patienten mit SE ist die oft späte und nicht ausreichend präzise Diagnosestellung ein anerkanntes Versorgungsdefizit. Spezifische therapeutische Maßnahmen unterbleiben oder es werden falsche oder unnötige Therapien eingeleitet mit weitreichenden Folgen für den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität Betroffener und deren Angehörigen.

Fragestellung: Die Versorgungseffizienz und Versorgungsqualität vieler SE ist aufgrund einer regional sehr unterschiedlichen und bisher unzureichend vernetzten speziellen Expertise limitiert. Zur Evaluation von innovativen medizinischen Versorgungskonzepten für diese sehr heterogene Patientengruppe sollen in einer Befragung die Bedarfe in der Versorgung von Menschen mit SE aus Sicht von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten identifiziert werden – mit dem Fokus auf die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Zentren für Seltene Erkrankungen (ZSE).

Methode: Es wurden 1.500 niedergelassene Allgemeinmediziner und Kinderärzte in folgenden 6 Regionen per Fragebogen postalisch anonym befragt: Kassenärztliche Vereinigung (KV) Bereich Berlin, KV Bereich Nordrhein, KV Bereich Sachsen, KV Bereich Hamburg und Schleswig-Holstein, KV Bereich Baden Württemberg sowie KV Bayern. Zur Adresssuche wurden die öffentlich zugänglichen Arztsuchen der jeweiligen KV Bereich verwendet. Pro KV-Bereich wurden per zufällig gewählter Postleitzahlen 250 Adressen ermittelt, die sich auf die Fachgruppen Hausärzte (170 Adressen) und Kinderärzte (80 Adressen) verteilen. Im Fokus standen Fragestellungen zu den Bereichen Informationsmöglichkeiten zu SE, Versorgungsstruktur, Informationsaustausch verschiedener Behandler, Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit ZSE sowie eine mögliche Beschleunigung der Diagnosefindung durch Einbindung der ZSE.

Ergebnisse: Derzeit liegen 244 Fragebögen vor (Rücklauf: Hausärzte 16%, Kinderärzte 18%, gesamt 16%). Die teilnehmenden Ärzte sind überwiegend in eigener Praxis tätig (83%) bzw. angestellt in einer Praxis bzw. MVZ (14%). Über die Hälfte der Ärzte (54%) geben an ZSE nicht zu kennen, 38% wissen um deren Existenz. Von den Ärzten, die Patienten mit SE oder dem Verdacht darauf in der Praxis behandeln (82%) überweisen 46% keinen, 21% weniger als die Hälfte, 8% mehr als die Hälfte und 26% alle Patienten mit SE oder dem Verdacht darauf an ein ZSE. Von den 112 Befragten, die angaben, ZSE zu kennen oder die von Erfahrungen mit einem konkreten ZSE berichteten, gaben nur 50% an, den Zugang zum ZSE zu kennen. Der Zugang zu den ZSE wird von denen, die Aussagen machen konnten, zu 52% als sehr einfach oder einfach, von 29% als weder einfach noch schwierig und von 19% als schwierig oder sehr schwierig beurteilt. Fast zwei Drittel (61%) beurteilt die Kommunikation mit dem ZSE als gut oder sehr gut, 22% als schlecht oder sehr schlecht und 17% geben eine mittlere Güte bei der Einschätzung der Kommunikation an. Befragt nach den Wünschen an ein ZSE äußern die Ärzte: 74% den Wunsch nach Mitbetreuung des Patienten, 73% den Wunsch einen Ansprechpartner für bestimmte SE zu haben und 64% wünschen sich Unterstützung bei der Diagnosestellung, 43% allgemeine Informationen zum Thema SE. Befragt nach der eigenen Rolle bei der Versorgung von Patienten mit SE sahen sich 73% als Mitbehandler sowie 70% als Koordinator. Eine Beschleunigung der Diagnosestellung durch die Einbindung der ZSE halten 40% der Ärzte für wahrscheinlich, 31% erwarten eine sichere Beschleunigung. Eine zurückhaltende Erwartung (teils/teils) äußern 7%, während 5% eine schnellere Diagnosestellung für nicht wahrscheinlich halten. Die Ergebnisse zeigen, dass zum einen das Wissen über die Existenz der ZSE ausbaufähig ist und v.a. die Zugangswege zu ZSE für potentielle Zuweiser unklar sind. Sind diese Hürden für die Zuweiser genommen, dann resultiert eine eher positive Bewertung der Zusammenarbeit mit den ZSE.

Diskussion: Der Nationale Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen hat verbesserte Versorgungsstrukturen zum Ziel. Neue Versorgungsformen können eine umfassende und spezialisierte Behandlung der Betroffenen ermöglichen. Dafür müssen die potentiellen Zuweiser verstärkt angesprochen, über konkrete Zugangswege informiert und deren Multiplikatorfunktion genutzt werden. Aufgrund der Komplexität Seltener Erkrankungen ist die interdisziplinäre Vernetzung aller im Prozess beteiligten Behandler unerlässlich. Seitens der hier befragten Leistungserbringer wird der Wunsch nach Informationsmöglichkeiten über ZSE deutlich.

Praktische Implikationen: Durch eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit der ZSE kann eine grundsätzliche Voraussetzung zur Inanspruchnahme geschaffen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Zuweisern eine steuernde Funktion für die Patientenströme zu den ZSE zukommt, die der Zuweiser nur unter Beseitigung des wahrgenommenen Informationsdefizits leisten kann.