gms | German Medical Science

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Evaluation eines ganzheitlichen, Patienten-zentrierten Versorgungsmodells für Patienten mit seltenen Erkrankungen unter besonderer Berücksichtigung der psychosozialen Versorgung am Beispiel Mukoviszidose – VEMSE-CF

Meeting Abstract

  • Corinna Moos-Thiele - Mukoviszidose Institut gGmbH, Therapieförderung, Bonn, Germany
  • Hans-Eberhard Heuer - CF-Zentrum Hamburg-Altona Kinderärztliche Gemeinschaftspraxis, Mukoviszidose, Hamburg, Germany
  • Sibylle Junge - CF Ambulanz Zentrum Kinderheilkunde und Jugendmedizin MH Hannover, Mukoviszidose, Hannover, Germany
  • Christina Smaczny - Christiane Herzog CF-Zentrum, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Christiane Herzog CF-Zentrum, Frankfurt, Germany
  • Helge Hebestreit - Christiane Herzog-Zentrum für Mukoviszidose Unterfranken, Universitätsklinikum Würzburg Kinderklinik, Christiane Herzog-Zentrum für Mukoviszidose Unterfranken, Würzburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf156

doi: 10.3205/19dkvf156, urn:nbn:de:0183-19dkvf1568

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Moos-Thiele et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Mukoviszidose bzw. Cystische Fibrose (CF) ist eine der häufigsten Seltenen Erkrankungen, die genetisch bedingt ist und chronisch progredient verläuft. Die pulmonale Erkrankung ist meist entscheidend für Morbidität, Mortalität sowie den Krankheitsverlauf. Es handelt sich jedoch um eine Multiorganerkrankung (Verdauungsstörung, Diabetes mellitus Typ 3c, Leberdysfunktion, Rechtsherzbelastung etc.), die gemeinsam die Therapie bestimmen. Die Therapie ist täglich lebensbegleitend erforderlich und erfordert ein hohes Maß an Zeit und Disziplin. Patienten mit CF und deren Eltern weisen häufig zusätzlich Angst- und Depressionssymptome auf. Die CF-Versorgung (§116b Abs.1 Nr.2 SGB-Buch V) sieht ein definiertes, sektorenübergreifendes Netz unterschiedlicher CF-erfahrener Leistungserbringer vor (Ärzte der jeweiligen Fachgebiete, Physiotherapeuten, Psychologen, Ernährungsberater, Sozialarbeiter, Sporttherapeuten). Durch die Einführung eines strukturierten Patienten-zentrierten multi-Komponenten Versorgungsmodells unter besonderer Berücksichtigung der psychosozialen Versorgung sollten bei VEMSE-CF die Organisationsabläufe optimiert und die Koordination und Kommunikation zwischen den Versorgungsbeteiligten verbessert werden.

Fragestellung/Zielkriterien: Die Fragestellung der Studie war, ob ein Patienten-zentriertes, psychosoziales Versorgungsmodell im Vergleich zur Standardversorgung zu einer höheren Versorgungsqualität führt. Primäres Zielkriterium war die prozentuale Häufigkeit der Wahrnehmung der dreimonatigen Routinevisiten (RV%) mit Erhebung des Body Mass Index (BMI) und der Lungenfunktion (FEV1%Soll). Sekundäre Zielkriterien waren die Veränderung der FEV1%Soll, Veränderung des BMI, Therapieadhärenz, Lebensqualität bzw. psychische Belastung der Patienten sowie der Eltern minderjähriger Patienten.

Methodik: Für die prospektive Studie im Kontrollgruppendesign galten als Einschlusskriterien die ICD-Diagnose E84 (CF) sowie ein Alter > 5 Jahre. Die Intervention des ganzheitlichen Patienten-zentrierten Versorgungsmodells erfolgte unter besonderer Berücksichtigung der psychosozialen Versorgung mit Komponenten „Case-Management“, „Patientenschulung“, „psychologische Intervention“, „Kontakte mit Sozialarbeitern“, „sportwissenschaftliche Beratung“, die durch zusätzlich angestellte psychosoziale Mitarbeiter in den Interventionsambulanzen erfolgte. Außerdem wurden individuelle Behandlungsvereinbarungen (IBV) vereinbart und zusätzliche Besprechungen des multiprofessionellen Teams fanden in der Ambulanz statt. Die IBV fand als Instrument für das Selbstmanagement der Patienten, zur gezielten Behandlungssteuerung durch das multiprofessionelle Behandlerteam und zur Verbesserung der Adhärenz Einsatz. Alle beteiligten Leistungserbringer verpflichteten sich zu gemeinsamen Handlungsrichtlinien und -pfaden wie es der Nationale Aktionsplan für seltene Erkrankungen in seinen orientierenden Qualitätskriterien fordert.

Ergebnisse: Es gab im Median keine signifikanten Unterschiede zwischen Interventions- (IG: n=153) und Kontrollgruppe (KG: n=165) bezüglich Alter (IG: 18J; KG: 16J) und BMI z-Score (IG: -0,63; KG: -0,64) zu Studienbeginn. Jedoch war der Ausgangs-FEV1%Soll in der IG signifikant geringer (IG: 77,0%; KG: 83,3%). Die Dropout Rate lag bei der IG bei 11% (n=17) und der KG bei 7% (n=12). Bezüglich des primären Endpunktes (RV%) konnte ein signifikanter Unterschied zwischen IG und KG nachgewiesen werden (Median: IG: 88,9%; KG: 77,8%; **). Das Odds Ratio von 2,1 zeigt die doppelte Effektstärke der Intervention. Insgesamt wurde in der IG zu jeder RV in über 90% der Fälle eine IBV abgeschlossen. Bei den sekundären Endpunkten traten bezüglich der Veränderung des FEV1%Soll hochsignifikante Unterschiede zwischen IG und KG von Studienbeginn zu -ende auf (Median ΔFEV1%Soll: IG: 0,0%; KG: -3,0%; ***). Dieser Effekt zeigte sich insbesondere in der Gruppe der 12-17-Jährigen (Median ΔFEV1%Soll: IG: +4,6%; KG: -9,0%; ***). Bezüglich des BMI-Verlaufs gab es keine Unterschiede. Bei den psychologischen sekundären Endpunkten fanden sich signifikante Unterschiede zugunsten der IG in der Veränderung der psychischen Belastung (Angst, Depressivität) der >13-jährigen Patienten und der Eltern minderjähriger Patienten, während sich kaum Unterschiede in der Lebensqualität von Patienten und Eltern zeigten.

Diskussion/Schlussfolgerung: Die Einführung eines strukturierten Patienten-zentrierten, multi-Komponenten Versorgungsansatzes für Patienten mit CF erwies sich trotz erhöhtem Zeitaufwandes als vorteilhaft. Insbesondere konnten Verbesserungen bzgl. der Wahrnehmung der RV%, der Entwicklung der Lungenfunktion und der Angstsymptomatik gezeigt werden. Die Ergebnisse wären durch geringe Anpassungen im Manual auf andere seltene, möglicherweise auch für häufige chronische Erkrankungen übertragbar. In Zukunft sollten Studien dieser Art in direkter Zusammenarbeit mit den Kostenträgern durchgeführt werden, um eine ergänzende Kostenaufstellung zu erhalten.