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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Patienten- und Elternzentrierung in der Versorgung von chronisch kranken Kindern: Ergebnisse einer Querschnittserhebung unter Fachkräften zur Wichtigkeit des Konzepts und zu Möglichkeiten der Umsetzung

Meeting Abstract

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  • Michael Eichinger - Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheimer Institut für Public Health, Sozial- und Präventivmedizin, Mannheim, Germany
  • Tatiana Görig - Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheimer Institut für Public Health, Mannheim, Germany
  • Sabine Georg - Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheimer Institut für Public Health, Mannheim, Germany
  • Freia De Bock - Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheimer Institut für Public Health, Mannheim, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf142

doi: 10.3205/19dkvf142, urn:nbn:de:0183-19dkvf1426

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Eichinger et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Patienten- und die Elternzentrierung (PEZ) stellen wichtige Merkmale der Versorgungsqualität für Kinder mit chronischen Krankheiten dar. In Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ), die als ambulante Einrichtungen schwerpunktmäßig chronisch kranke Kinder interdisziplinär versorgen, ist die Umsetzung der PEZ daher von besonders hoher Relevanz. Bisher ist jedoch nicht bekannt, inwiefern Fachkräfte in SPZ (z.B. Mediziner, Psychologen, Therapeuten) (1) die PEZ als wichtig erachten und (2) in welchem Ausmaß sie die PEZ in ihrem Praxisalltag umsetzen können.

Fragestellung: Im Rahmen der Studie wurde (1) die Wichtigkeit der PEZ sowie (2) die Möglichkeit ihrer Umsetzung aus Sicht der Fachkräfte in SPZ analysiert. Zudem wurden Zusammenhänge zwischen der PEZ und soziodemographischen sowie beruflichen Charakteristika untersucht (z.B. Geschlecht, Ausbildung).

Methode: Die Erhebung der Querschnittsdaten erfolgte 2019 mittels eines standardisierten Fragebogens in 12 SPZ, die seit 2018 an der cluster-randomisierten PART-CHILD Studie teilnehmen. Die Dimensionen (i) Wichtigkeit der Patienten- und (ii) Elternzentrierung sowie (iii) Möglichkeit zur Umsetzung der Patienten- und (iv) Elternzentrierung wurden über 4 Skalen erfasst (je 6 Items; Spanne: 0 – 54; hohe Werte entsprechen einer hohen Wichtigkeit bzw. guten Möglichkeiten zur Umsetzung; Skalen angelehnt an die Patient Involvement Scale von Arnetz et al. 2008). Zudem wurden die folgenden soziodemographischen und beruflichen Charakteristika erhoben: Geschlecht, Berufserfahrung (in Jahren), Ausbildung (Medizin/Psychologie vs. Therapiedisziplinen) und Vorerfahrung mit der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF-CY, keine Vorerfahrung vs. ICF-CY-Anwender). Alle bivariaten Zusammenhänge wurden mittels Permutationstests und Korrelationskoeffizienten nach Spearman (r) analysiert.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 206 Fachkräfte in die Analysen eingeschlossen (Spanne (SP): 7–32/SPZ; Rücklaufquote: 47 %). Es zeigten sich überwiegend mäßig hohe bis hohe Werte für die Wichtigkeit und die Möglichkeit zur Umsetzung der PEZ. Die Möglichkeit zur Umsetzung der Patientenzentrierung (Median (M): 41, SP: 17–54) wurde niedriger eingeschätzt als die Wichtigkeit der Patientenzentrierung (M: 49, SP: 29–54, p < 0,001). Ein ähnliches Bild zeigte sich für die Möglichkeit zur Umsetzung der Elternzentrierung (M: 46, SP: 22 – 54) und der Wichtigkeit der Elternzentrierung (M: 53, SP: 40–54, p < 0,001). Zudem wurde die Patientenzentrierung als weniger wichtig und schwieriger umsetzbar eingeschätzt als die Elternzentrierung (p jeweils < 0,001). Die Wichtigkeit und die Möglichkeit zur Umsetzung der Patientenzentrierung waren positiv mit der Berufserfahrung assoziiert (Wichtigkeit: r=0,21; p=0,01; Möglichkeit zur Umsetzung: r=0,26; p=0,002). Es zeigte sich kein Zusammenhang der Berufserfahrung mit der Wichtigkeit/Möglichkeit zur Umsetzung der Elternzentrierung. Schlussendlich waren Vorerfahrungen mit der ICF-CY mit einer höheren Einschätzung der Wichtigkeit der Patienten- (p < 0,001) bzw. Elternzentrierung (p=0,01) assoziiert. Es zeigte sich kein Zusammenhang der PEZ mit dem Geschlecht oder der Ausbildung der Fachkräfte.

Diskussion: Während die Fachkräfte insgesamt die Wichtigkeit der PEZ als hoch einschätzten und Möglichkeiten zu deren Umsetzung sahen, ergibt die nähere Betrachtung ein differenziertes Bild: Insbesondere die Beteiligung von Kindern und die konkrete Umsetzung der PEZ in der Routineversorgung stellt die Fachkräfte vor Herausforderungen. Neben der Berufserfahrung, die positiv mit der Umsetzung einer kindzentrierten Versorgung zusammen hängt, scheint die Vorerfahrung mit der ICF-CY positiv mit der wahrgenommenen Wichtigkeit einer kindzentrierten Versorgung assoziiert zu sein. Letzteres impliziert, dass eine konsequente Implementierung der ICF-CY als Leitprinzip der Versorgung chronisch kranker Kinder in SPZ dazu beitragen könnte, eine stärkere Patientenzentrierung in der sozialpädiatrischen Versorgung und dadurch eine bessere Versorgungsqualität zu etablieren.

Praktische Implikationen: Die Versorgungsqualität chronisch kranker Kinder kann durch eine stärkere PEZ verbessert werden. Hierzu sind Interventionen wichtig, die konkrete Maßnahmen zur praktischen Umsetzung von Kind- und Elternzentrierung in der Routineversorgung aufzeigen (z.B. Schulung zu Kommunikationsstrategien) und insbesondere Fachkräfte mit eingeschränkter Berufserfahrung fokussieren. Zudem könnte eine konsequente Einführung der ICF-CY als Leitprinzip in interdisziplinär zusammengesetzten Teams ein gemeinsames Verständnis für die Wichtigkeit einer patienten- und elternzentrierten Versorgung schaffen.