gms | German Medical Science

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Die Belange von Familien lebenslimitierend erkrankter Kinder in der SAPV

Meeting Abstract

  • Jennifer Engler - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Germany
  • Dania Gruber - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Germany
  • Fabian Engler - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Germany
  • Cornelia Ploeger - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Germany
  • Michaela Hach - Fachverband für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung Hessen, -, Wiesbaden, Germany
  • Hannah Seipp - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Marburg, Germany
  • Katrin Kuss - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Marburg, Germany
  • Ferdinand M. Gerlach - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Germany
  • Lisa-Rebekka Ulrich - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Germany
  • Antje Erler - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf140

doi: 10.3205/19dkvf140, urn:nbn:de:0183-19dkvf1404

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Engler et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Seit 2007 haben lebenslimitierend Erkrankte mit einem besonders aufwändigen Versorgungsbedarf Anrecht auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Die SAPV soll auch denjenigen Patienten das Leben und Sterben zu Hause ermöglichen, deren Versorgung regelmäßige spezialisierte ärztliche und pflegerische Betreuung bedarf. SAPV wird durch ein Team aus Ärzten und Pflegekräften erbracht und beinhaltet u.a. eine 24-Stunden-Rufbereitschaft.

Laut § 1, Absatz 4 der Richtlinie zur SAPV ist „den besonderen Belangen von Kindern und Jugendlichen“ bei der Erbringung der SAPV Rechnung zu tragen. Das Spektrum der Erkrankungen und die Versorgungsverläufe der jungen SAPV-Patienten unterscheiden sich von denen der Erwachsenen. Kinder und Jugendliche in der SAPV leiden seltener an onkologischen Erkrankungen und werden häufig über längere Zeiträume betreut. Auf Kinder und Jugendliche spezialisierte, pädiatrische SAPV-Teams (SAPPV) existieren in Deutschland noch nicht flächendeckend.

Das Ziel unserer Studie ist es, u.a. anhand von narrativen Interviews mit den betroffenen Familien, die besonderen Belange von lebenslimitierend erkrankten Kindern und Jugendlichen in der SAPPV zu konkretisieren und Empfehlungen für eine Berücksichtigung dieser Belange in der SAPV-Richtlinie zu formulieren.

Fragestellung: Welche Belange haben lebenslimitierend erkrankte Kinder und ihre Familien, die bei der Erbringung von SAPPV berücksichtigt werden sollten?

Methode: Wir führten narrative Interviews mit 13 Elternteilen (9 Mütter, 4 Väter) von neun lebenslimitierend erkrankten Kindern, die in der SAPPV versorgt werden oder wurden. Interviews mit betroffenen Kindern oder Jugendlichen kamen im Untersuchungszeitraum leider nicht zustande. Die Rekrutierung wurde durch die drei hessischen SAPPV-Teams unterstützt. Zu Beginn des Interviews fragten wir die Eltern: „Vielleicht können Sie einmal erzählen, wann Sie erfahren haben, dass Ihr Kind nicht gesund ist und was Sie seitdem damit erlebt haben“. Die Interviews wurden audioaufgezeichnet, transkribiert, pseudonymisiert und mit einem Grounded-Theory-Ansatz von drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern analysiert.

Das Projekt wird gefördert aus Mitteln des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Förderung von Versorgungsforschung nach § 92a Abs. 2 SGB V (FKZ: 01VSF16006).

Ergebnisse: Die interviewten Eltern formulierten medizinische und psychosoziale Belange im Hinblick auf die Versorgung ihrer Kinder.

Ein Hauptanliegen war die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten, welche die Familien mit einem Gefühl des Ausgeliefert-Seins verbanden. Sie wünschten sich, einen Familienalltag leben zu können und in die Versorgung ihrer Kinder eingebunden zu sein. Das „Da-Sein“ der SAPPV im Sinne einer 24-Stunden Erreichbarkeit, der Möglichkeit zu vertrauensvollen Gesprächen und einer Versorgung nach Maß wurde als sehr unterstützend erlebt. Für ihre Kinder wünschten sich die Eltern ein ruhiges Sterben in familiärer Atmosphäre. Viele der Eltern berichteten von psychologischem Unterstützungsbedarf.

Die Palliativversorgung ihrer Kinder erfordert den Eltern zufolge Experten fürs Sterben/Unheilbar-Krank Sein, für seltene Erkrankungen und für Schmerzmedikation bei Kindern. Diese Expertisen sahen sie im SAPPV-Team vereint. Aufgrund der individuellen Verläufe der lebenslimitierenden (häufig seltenen) Erkrankungen ihrer Kinder war die Kontinuität der Versorger den Eltern ein besonderes Anliegen.

Die Familien berichteten den Bedarf an einer Vielzahl weiterer Versorger und wertschätzten die Hilfe beim Aufbau und der Koordination dieses Versorgernetzes durch die SAPPV.

Diskussion: Die von den Eltern formulierten Belange zeigen den Bedarf an einer familienzentrierten Palliativversorgung im häuslichen Setting. Den Eltern war es ein Anliegen, ihren Alltag selbst zu gestalten und ihre Kinder zu Hause versorgen zu können. Die Anleitung und Einbindung der Eltern ist somit ein wichtiger Bestandteil der palliativmedizinischen Begleitung der Familien.

Darüber hinaus formulierten die Eltern deutlich die besonderen Anforderungen an die pädiatrischen Palliativversorger: Da die Kinder und Jugendlichen in der SAPPV häufig an seltenen Erkrankungen leiden, müssen die Teams sowohl über Wissen zu diesen seltenen Erkrankungen, ihren Symptomen und den individuellen Krankheitsverläufen verfügen, als auch über Kenntnisse zu Schmerzmedikation bei Kindern.

Die Familien verbringen teilweise viele Jahre mit ihren lebenslimitierend erkrankten Kindern zu Hause und benötigen zur Bewältigung dieser Aufgabe ein umfassendes Versorgernetz, das langfristig etabliert und koordiniert werden muss.

Praktische Implikationen: Die SAPPV ist nicht nur am unmittelbaren Ende des Lebens ein wichtiges Versorgungsmodell für Familien lebenslimitierend erkrankter Kinder. Den besonderen Belangen von Kindern und Jugendlichen in der SAPV sollte durch den Ausbau von SAPPV-Teams und einen erleichterten Zugang zu diesen begegnet werden.