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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Psycho-soziale Belastungen und Versorgungsbedarf von Familien mit einem chronisch kranken Kind am Beispiel von Typ 1 Diabetes

Meeting Abstract

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  • Andrea Dehn-Hindenberg - Medizinische Hochschule Hannover, Medizinische Psychologie, Hannover, Germany
  • Karin Lange - Medizinische Hochschule Hannover, Medizinische Psychologie, Hannover, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf139

doi: 10.3205/19dkvf139, urn:nbn:de:0183-19dkvf1392

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Dehn-Hindenberg et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Die chronische Erkrankung eines Kindes stellt die betroffenen Familien vor komplexe Aufgaben, die mit den beruflichen und familiären Anforderungen abgestimmt werden müssen. Der Fokus der Langzeittherapie richtet sich nicht allein auf das betroffene Kind, sondern bezieht das gesamte Familiensystem mit ein. Denn die Eltern und insbesondere die Mütter sind sowohl körperlich als auch psychisch stärkeren Belastungen ausgesetzt als Eltern ohne ein chronisch krankes Kind. Um jedoch langfristig die Qualität der Therapie (hier die Qualität der Stoffwechseleinstellung) aufrecht zu erhalten, sind belastbare Erkenntnisse darüber wichtig, welche Hilfen die betroffenen Familien nutzen und welchen Unterstützungsbedarf sie tatsächlich haben. Dies ist auch vor dem Hintergrund von Berufstätigkeit und der Versorgung von Kindern in Tageseinrichtungen zu betrachten.

Fragestellung: Zentrale Fragestellungen der Studie waren: Welche beruflichen, finanziellen und psychischen Folgen der Stoffwechselstörung ergeben sich für die Eltern und für die Betreuung des betroffenen Kindes? Welche psycho-sozialen Belastungen haben Familien mit einem Kind mit Typ 1 Diabetes und welche Unterstützungsleistungen benötigen sie?

Methode: Es wurden bundesweit in 9 Diabeteszentren Eltern von Kindern mit einer Diabetesmanifestation vor dem 14. Lebensjahr mittels eines strukturierten Fragebogens anonym befragt. Darin wurden die beruflichen, finanziellen und psychischen Folgen der Stoffwechselstörung des Kindes sowie die Belastung und der Unterstützungsbedarf aller Familienmitglieder mit folgenden Messinstrumenten erhoben: CRF (Soziodemografische und zentrale Diabetesdaten des Kindes), soziodemografische Daten der Eltern, Fragebogen zu beruflichen Folgen der Diabetesmanifestation und zur psychosozialen Belastung aller Familienmitglieder durch den Diabetes und ein semistrukturierter Fragebogen zum Unterstützungsbedarf. Die Kerndaten wurden deskriptiv dargestellt, d.h. Häufigkeitsverteilungen bei kategorialen und ordinalskalierten Daten; Mittelwerte, Standardabweichungen, Minimum und Maximum bei intervallskalierten Daten. Mittelvergleiche erfolgten über t-Tests bzw. ANOVA (analysis of variance). Zur Überprüfung systematischer Abhängigkeiten wurde der Pearson-Korrelationskoeffizient (r) bei normalverteilten Daten angewendet und bei nicht normalverteilten Datensätzen die Rangkorrelation Spearman’s rho bzw. der Chi-Quadrat-Test (Chi²-Test) bei Daten auf Nominalskalenniveau.

Ergebnisse: Insgesamt liegen 1144 Fragebögen vor (81% Rücklauf). Der Belastungsrad im Alltag ist bei 52,6% der Mütter, 30,6% der Väter, 48,3% der kranken Kinder und 16,6% der Geschwister nach Aussage der Eltern hoch. Eine hohe körperliche Belastung haben 23,3% der Mütter, 11,1% der Väter, 22,9% der kranken Kinder und 5,3% der Geschwister. Hohe psychische Belastungen erleben 62% der Mütter und 41% der Väter, 47% der betroffenen Kinder und 20% der Geschwister.

Psychische Erkrankungen wurden 13% der Mütter insgesamt und 18% der alleinerziehenden Mütter, 4% der Väter, 9% der Kinder mit Typ-1-Diabetes und 5% der Geschwister diagnostiziert. Im ersten Jahr nach der Diabetesdiagnose werden die betroffenen Familien insbesondere von ihren Familien und Freunden sowie vom medizinischen Fachpersonal unterstützt. 42,4% der Eltern haben Bedarf an weiteren Unterstützungsleistungen im Alltag und 18,2% in den Kindertagesstätten und Schulen, 5,9% bei Betreuungsmöglichkeiten insbesondere in den Ferien. 6,9% haben Bedarf an technischen Hilfen und Schulungen und 22,8% an psychologischer Beratung (n= 491).

Von den 42,4% der Eltern mit Bedarf an Unterstützung im Alltag (n= 208) benötigen individuelle Unterstützung je nach Problemlage (46,6%), Hilfe von anderen betroffenen Eltern (19,2%), Hilfe bei Anträgen und bürokratischen Fragestellungen (16,8%) und 17,3% weitere Hilfe von der Familie und von Freunden.

Diskussion: Die Studie belegt weitreichende psychosoziale Folgen der Diabetesdiagnose für Familien, insbesondere für Mütter und einen hohen Unterstützungsbedarf bei der Krankheitsbewältigung und bei der Integration der Therapie in den Alltag. Um eine qualifizierte Versorgung des kranken Kindes zu sichern, Folgeerkrankungen aller Familienmitglieder zu verhindern bzw. zu reduzieren und die dafür erforderliche Selbstmanagement- und Gesundheitskompetenz zu erhöhen, benötigen die Betroffenen umfassendere psycho-soziale Hilfen.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse der Studie implizieren die Entwicklung eines niederschwelligen Unterstützungssystems für Familien mit chronisch kranken Kindern und hohem Betreuungsaufwand (am Beispiel von Typ 1 Diabetes) welches Schulungsprogramme sowie individuelle Beratungsangebote beinhaltet. Möglichst frühzeitig angebotene Versorgungsleistungen wären ein sinnvoller Beitrag zur Gesundheitsförderung und zur Prävention von Folgeerkrankungen für die Betroffenen.