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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Wie können Patienten ihren Ärzten helfen? Einer multimethodische Untersuchung der Arzt-Patient-Interaktion

Meeting Abstract

  • Barbara Plagg - Institut für Allgemeinmedizin, Südtirol, Italien, Allgemeinmedizin, Bozen, Italy
  • Giuliano Piccoliori - Institut für Allgemeinmedizin, Südtirol, Italien, Allgemeinmedizin, Bozen, Italy
  • Elsen Susanne - Universität Bozen, Fakultät für Bildungswissenschaften, Brixen, Italy
  • Walter Lorenz - Universität Bozen, Fakultät für Bildungswissenschaften, Brixen, Italy
  • Christian Wiedermann - Tirol Kliniken, Medizinische Geschäftsführung, Innsbruck, Austria
  • Hermann Atz - Apollis - Institut für Sozialforschung und Demoskopie, Sozialforschung, Bozen, Italy
  • Adolf Engl - Institut für Allgemeinmedizin, Südtirol, Italien, Allgemeinmedizin, Bozen, Italy

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf133

doi: 10.3205/19dkvf133, urn:nbn:de:0183-19dkvf1332

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Plagg et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Sowohl auf Seiten der Ärzteschaft, als auch bei den Patienten, ist eine Pluralisierung von Erwartungshaltungen und Kommunikationsstilen feststellbar. Wenngleich über den Stellenwert des Arztes in diesem Spannungsverhältnis bereits viel geforscht wurde und es zahlreiche Initiativen gibt, gibt es bis dato zur Ressource „Patient“ als wichtige Kraft zur Lösung von Problemen im Gesundheitssystem kaum Forschung oder Initiativen. Die vorliegende Studie untersucht, wo sich die größten Diskrepanzen in der Arzt-Patient-Interaktion identifizieren lassen im Hinblick darauf, diese – mit besonderem Fokus auf die Stärkung des partizipativen Prozesses von Seiten des Patienten – zu überwinden.

Fragestellung: Wie können Patienten ihren Ärzten helfen, gemeinsam durch eine gelungene Interaktion eine optimale Behandlung zu erreichen? Wo liegen die größten Diskrepanzen zwischen dem beratungssuchenden Laien und dem Hausarzt?

Methode: Als quantitatives Befragungsinstrument kommt sowohl für Patienten (N = 506), als auch für Hausärzte (N = 109) ein standardisierter Fragebogen im Rahmen von Telefoninterviews (Patienten) bzw. Online-Fragebögen (Ärzte) zum Einsatz. Grundlage des Fragebogens sind bewährte Instrumente (PVQc und GuLiVer) und die Ergebnisse einer Fokusgruppe mit Hausärzten. Der quantitative Teil wird von einer qualitativen Erhebung ergänzt (N = 26). Grundgesamtheit der Befragung sind alle in der Region tätigen Hausärzte sowie alle ansässigen volljährigen Personen. Auf ein ausgewogenes Gleichgewicht der beiden in der Region ansässigen Sprachgruppen wurde geachtet (*nach Bewertung wird die Bezeichnung der Sprachgruppen eingefügt, die ansonsten Hinweis auf den Standort gibt).

Ergebnisse: Die Trennschärfe der Antwortmuster zeigt eine deutliche Asymmetrie in der Arzt-Patienten-Beziehung – beide Interaktionspartner treffen mit differierenden Anforderungen und Vorstellungen an den jeweiligen Gegenübern aufeinander. Arzt und Patient beurteilen die für eine gelungene Visite relevanten Aspekte im Bereich i) Gesundheitskompetenz und Eigenbeitrag, ii) Offenheit und Ehrlichkeit, iii) Selbstinformation, iv) formale Rahmenbedingungen der Arztvisite und v) Thematisierung psychosozialer Probleme mit abweichender Wichtigkeit. Aufgrund der besonderen geopolitischen Situation lassen sich in der untersuchten Kohorte zudem stratifizierbare Merkmale zwischen den beiden untersuchten Sprachgruppe herausarbeiten, wobei sich insbesondere im Spannungsfeld zwischen Autonomiebestreben und Vertrauen in Expertensysteme ein kultureller Unterschied zwischen den Sprachgruppen abzeichnet. Die proaktive Beteiligung des Patienten an der hausärztlichen Visite innerhalb der xx (*nach Bewertung wird die Bezeichnung eingefügt) Bevölkerungsgruppe wird sowohl von Ärzten als auch vom Patienten eher abgelehnt. Im Gesamtkollektiv der Patienten finden sich außerdem unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen hinsichtlich Eigenbeitrag zur Gesunderhaltung, Einschätzung der Wichtigkeit psychosozialer Probleme und Offenheit entlang des Bildungsgradienten, sowie nach Alter und Geschlecht. Insgesamt zeichnet die Kombination aus hohen Ansprüchen an Offenheit und Eigenbeitrag verbunden mit viel Nachsicht, was Höflichkeit und Sauberkeit angeht, Ärzte aus. Patienten bemessen hingegen formalen Rahmenbedingungen und sozial erwünschten Aspekten wie etwa Freundlichkeit und Körperpflege großen Wert bei, weisen bei therapierelevanten Informationen z.B. hinsichtlich ihrer derzeitigen Medikation, der Verwendung von Hausmitteln, einer präzisen Beschreibung ihrer Symptome, oder bei der Forderung nach Facharztvisiten jedoch ein geringes Problembewusstsein auf.

Diskussion: Arzt und Patient gehen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen, Wünschen und Bewertungen in die Interaktion. Im Spannungsfeld zwischen Autonomiebestreben und Vertrauen in Expertensysteme resultiert das Moment der Begegnung dadurch je nach soziokulturellen Voraussetzungen der beiden Interaktionspartner in einem Spannungsverhältnis, das stets individuell und in der situativen Beziehung neu ausgehandelt werden muss. Insbesondere auf Patientenseite lassen sich Defizite in der Bewertung des Eigenbeitrags zur Gesundheit und der proaktiven Gestaltung der Arzt-Patient-Interaktion feststellen, welche sich zum Teil mit dem individuellen soziokulturellen Hintergrund und einer geringen Sensibilisierung hinsichtlich der eigenen Rolle im hausärztlichen Milieu erklären lassen.

Praktische Implikationen: Die Studie zeigt auf, welche Bereiche insbesondere für den Arzt im Rahmen der Interaktion mit dem Patienten besonderes Augenmerk verlangen, da hier die Vorstellungen und die Bereitschaft zur Mitarbeit besonders divergieren. Mit zielgruppenorientierten Informations- und Interventionsmaßnahmen mit besonderem Fokus auf die identifizierten Problembereiche kann der Patient als Ressource gestärkt und die hausärztliche Visite zufriedenstellender für beide Seiten gestaltet werden.