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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

„Der Alte soll mich doch endlich zu sich holen“ – Palliativpatienten sprechen über Todeswünsche

Meeting Abstract

  • Kathleen Boström - Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Germany
  • Thomas Montag - Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Germany
  • Leonie Gehrke - Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Germany
  • Carolin Rosendahl - Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Germany
  • Gerrit Frerich - Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Germany
  • Vanessa Romotzky - Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Germany
  • Raymond Voltz - Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Germany
  • Kerstin Kremeike - Universitätsklinikum Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf125

doi: 10.3205/19dkvf125, urn:nbn:de:0183-19dkvf1255

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Boström et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Eine Vielzahl von palliativen Patientinnen und Patienten entwickelt im Verlauf ihrer Erkrankung vorübergehende oder andauernde Todeswünsche (TW). Oftmals werden Versorgende mit diesen Wünschen konfrontiert und berichten über eine große Unsicherheit im Umgang damit. In einem aktuellen Forschungsprojekt – gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF; Förderkennzeichen 01GY1706) – soll dieser Unsicherheit mit dem Einsatz eines eigens dafür entwickelten Gesprächsleitfadens begegnet werden. Um zu ermitteln, wie Versorgende die Kommunikation über TW bestmöglich gestalten können, ist auch von Bedeutung, wie Palliativpatientinnen und -patienten selbst diese Wünsche konkret äußern.

Fragestellung: Wie formulieren Palliativpatientinnen und -patienten TW konkret? Welche kommunikativen Mittel verwenden die Patienten dabei?

Methode: Im Rahmen einer mehrphasigen Mixed-Methods Studie zum Umgang mit TW bei palliativen Patientinnen wurden Versorgende zu verschiedenen Zeitpunkten gebeten, Formulierungen von TW durch von ihnen betreute Patienten zu nennen:

1.
Im Rahmen einer Schulung zum Umgang mit TW trugen Versorgende erinnerte Aussagen aus ihrer Berufspraxis zusammen.
2.
Zu einem späteren Zeitpunkt dokumentierten die geschulten Versorgenden TW-Formulierungen aus aktuellen Interaktionen mit palliativen Patientinnen.

Die so zusammengetragenen Formulierungen wurden wörtlich transkribiert und unter Zuhilfenahme der Analysesoftware MaxQDA qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse: Insgesamt nannten 69 Teilnehmende in 8 Schulungen 108 einzelne TW-Formulierungen. Die geschulten Versorgenden haben bisher 32 Gespräche über TW geführt und dokumentiert. In 10 dieser Gespräche wurde ein TW geäußert. Damit kann aktuell auf 118 Formulierungen zurückgegriffen werden. Deren Analyse zeigt, dass die dokumentierten TW sich in ihrer Ausdrucksweise vor allem durch das Maß an Direktheit unterscheiden:

  • In 24 (20%) der Äußerungen werden direkte Worte gewählt („Ich möchte jetzt sterben!“, „Ehe ich hier in den Windeln liege, bringe ich mich um.“).
  • In den 94 (80%) anderen Äußerungen erscheinen TW indirekt, unter anderem durch folgende kommunikative Mittel:
    • Zuhilfenahme von Metaphern oder andere Konstrukte (n=49): Der Tod als Ende („Wie kann ich ein Ende machen?“), als Schlaf („Ich möchte schlafen und nie wieder aufwachen.“) oder auch als bestimmter Ort („Ich fahre in die Schweiz!“).
    • Indirekte Umschreibung des Todeswunsches durch seine konkrete Ausführung (n=19) („Ich würde mir gerne einen goldenen Schuss setzen.“) oder im Wunsch nach ärztlich assistiertem Suizid („Haste nicht ´ne Pille für mich?“).
    • Bezug auf Dritte zur Vermittlung eines Todeswunsches (n=20), z.B. die Partnerin oder den Partner („Mein Partner ruft mich.“) oder Gott („Der Alte soll mich doch endlich zu sich holen!“). Letzteres Beispiel illustriert auch die humoristische Art, in der manche der Äußerungen verfasst sind.
    • Indirekte Vermittlung des Todeswunsches über Lebensüberdruss (n=16) (z.B. „Das ist doch kein Leben mehr!“)
    • Vage Bekundungen von Frustration und Erschöpfung (n=19) (z.B. „Ich kann nicht mehr.“ / „Ich will nicht mehr.“).

Diskussion: Die analysierten Formulierungen entstammen Interaktionen der palliativen Versorgung und zeigen, welche Patienten-Äußerungen von Versorgenden als TW interpretiert werden. Notwendigerweise unbeachtet bleiben dabei die nonverbale Kommunikationsebene, aber auch Patientinnen, die möglicherweise einen latenten Todeswunsch hegen, ohne diesen offen anzusprechen.

Die Formulierungen bieten Anknüpfungspunkte für Versorgende, auf geäußerte TW einzugehen und den Patienten dabei mit einer offenen, interessierten und respektvollen Grundhaltung für ihr Erleben zu begegnen. Diese Grundhaltung kann sich in empathischem Zuhören, Nachfragen oder auch dem Zeigen von Verständnis äußern, beinhaltet dabei aber nicht notwendigerweise die Mitwirkung bei der Erfüllung des geäußerten oder vermeintlichen TW bzw. eine Bewertung desselben. Im Gegenteil kann das Hinterfragen der verwendeten Formulierungen nicht nur beim Verstehen eines möglicherweise dahinterliegenden TW helfen, sondern auch zur Öffnung des Gesprächs beitragen. Dabei können die Fragen an den direkten („Warum möchten Sie sterben?“) oder indirekten („Sie sagen, ihr Mann wartet auf sie – erzählen Sie doch mal von ihm, wie war der denn?“) Kommunikationsstil der Patientinnen angepasst werden.

Praktische Implikationen: Eine Übersicht über verschiedene Äußerungsformen von TW kann Versorgenden Orientierung im Umgang damit bieten. Auch lassen sich Ansatzpunkte für eigene Formulierungen für das proaktive Ansprechen eventuell vorhandener TW durch Versorgende aufzeigen, mit denen Patientinnen und Patienten sprachlich angemessen begegnet werden kann.