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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Vereinfachte Packungsbeilage oder mündliche Aufklärung statt Packungsbeilage gemäß EU-Richtlinie: eine randomisierte kontrollierte Pilotstudie zur Analyse des Einflusses auf den Nocebo-Effekt

Meeting Abstract

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  • Tim Mathes - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (Universität Witten/Herdecke gGmbH), Abteilung für Evidenzbasierte Versorgungsforschung, Köln, Germany
  • Barbara Prediger - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (Universität Witten/Herdecke gGmbH), Evidenzbasierte Versorgungsforschung, Köln, Germany
  • Esther Meyer - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (Universität Witten/Herdecke gGmbH), Evidenzbasierte Versorgungsforschung, Köln, Germany
  • Roland Büchter - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (Universität Witten/Herdecke gGmbH), Evidenzbasierte Versorgungsforschung, Köln, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf117

doi: 10.3205/19dkvf117, urn:nbn:de:0183-19dkvf1176

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Mathes et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Der Nocebo-Effekt bezeichnet eine negative Reaktion durch eine Intervention ohne offensichtliche pathophysiologische Ursache. Durch eine negative Erwartungshaltung (z.B. Angst) werden negative Symptome (stärker) wahrgenommen oder über psychosomatische Prozesse tatsächlich negative Symptome ausgelöst. Bezogen auf unerwünschte Ereignisse von Arzneimitteln ist es der Anteil an Nebenwirkungen, der zusätzlich zu den pharmakologischen, kausal zu erklärenden, unerwünschten Ereignissen auftritt. Studien deuten darauf hin, dass der NE durch Kommunikation beeinflusst werden kann. Studien zeigen zudem, dass die Art und Darstellung von unerwünschte Ereignissen (z.B. Häufigkeitsangaben) die Einschätzung und somit die Erwartungshaltung bezüglich Nebenwirkungen beeinflussen kann (z.B. Eintrittswahrscheinlichkeit). Da Packungsbeilagen (PBL) die am weitesten verbreitete Form der schriftlichen Aufklärung über unerwünschte Ereignisse ist, setzt die Studie hier an.

Fragestellung: Es soll die Frage beantwortet werden, ob die Art der Vermittlung von unerwünschten Ereignissen den NE beeinflussen kann.

Ziel dieser randomisierten kontrollierten Pilotstudie (pRCT) war es daher, den Einfluss unterschiedlicher Aufklärungsvarianten über unerwünschte Ereignisse auf den NE zu analysieren.

Methoden: Es wurde eine monozentrische, pRCT mit Erwachsenen, die elektiv orthopädisch operiert wurden und Ibuprofen erhielten, durchgeführt. Die Probanden wurden zentralisiert, mittels Computer in die folgenden Gruppen randomisiert:

  • Vereinfachte-PBL: In einfacher Sprache ausgedrückte und auf Vermeidung von Risikoverzerrung ausgelegte PBL
  • Keine-PBL: mündliche nicht standardisierte Aufklärung
  • Standard-PBL: PBL gemäß EU-Richtlinie

Zur Quantifizierung des NEs wurde die Anzahl an patientenberichteten unerwünschten Ereignissen (innerhalb drei Tage nach Entlassung) und weitere Endpunkte erhoben (z.B. Angst vor unerwünschte Ereignissen nach dem Lesen). Probanden und Personal waren auf Grund der Offensichtlichkeit der Interventionen nur teilweise verblindet.

Ergebnisse: Es wurden 35 Patienten in die Vereinfachte-PBL-, 33 in die Keine-PBL- und 34 in die Standard-PBL-Gruppe randomisiert. Für 95% der Patienten waren Daten zu UEs verfügbar. Eine Intention-To-Treat-Analyse zeigte: Sechs (17,1%) Patienten in der Vereinfachte-PBL-Gruppe, vier (12,1%) in der Keine-PBL-Gruppe und acht (23,5%) in der Standard-PBL-Gruppe berichteten mindestens ein unerwünschte Ereignisse. Dies entspricht einem relativen Risiko von 0,80 (95%CI 0,27–1,90) für die Vereinfachte-PBL- und 0,50 (95%CI 0,14–1,46) für die Keine-PBL-Gruppe im Vergleich zur Standard-PBL-Gruppe. Die Effektrichtung für alle sekundären Endpunkte (Angst, Adhärenz) war bei hoher statistischer Unsicherheit entweder ähnlich zwischen den Gruppen oder zeigte eine Tendenz zur Ungunsten der Standard-PBL (z.B. hohe Angst vor UEs).

Praktische Implikationen: Diese pRCT liefert erste Indizien, dass die Ausgestaltung von PBLs mit dem NE assoziiert sein könnte. Falls sich die Ergebnisse der Pilotstudie in einer Fortsetzungsstudie bestätigen, sollte eine Revision der aktuellen Gestaltungspraxis von Packungsbeilagen, insbesondere die Verbalisierung von Häufigkeitsangaben erwogen werden.