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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Führungsaspekte bei der Pausenregelung und Dienstzeitgestaltung mit Blick auf psychische Belastungsfaktoren in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) am Beispiel von Hausarztpraxen

Meeting Abstract

  • Elena Tsarouha - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen, Germany
  • Sigrid Emerich - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen, Germany
  • Christine Preiser - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen, Germany
  • Markus Bleckwenn - Universitätsklinikum Bonn, Institut für Hausarztmedizin, Bonn, Germany
  • Birgitta Weltermann - Universitätsklinikum Bonn, Institut für Hausarztmedizin, Bonn, Germany
  • Florian Junne - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen, Germany
  • Tanja Seifried-Dübon - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen, Germany
  • Monika A. Rieger - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen, Germany
  • Esther Rind - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen, Germany
  • Forschungsverbund IMPROVEjob

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf106

doi: 10.3205/19dkvf106, urn:nbn:de:0183-19dkvf1068

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Tsarouha et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Auch im Gesundheitsbereich mangelt es seit vielen Jahren an qualifizierten Arbeitskräften. Zusätzlich wird ein Trend zu erhöhten Fehlzeiten und einer Zunahme der Arbeitsunfähigkeit dokumentiert. Im Kontext Arbeitsumfeld und Gesundheit werden neben physischen Faktoren zunehmend psychische Belastungen berücksichtigt. In der Literatur werden zahlreiche psychische Belastungsfaktoren identifiziert, die für die psychische Gesundheit besonders relevant sind (z. B. Arbeitsintensität, Arbeitszeiten, Führungsstil).

KMU (nach EU-Definition < 250 Beschäftigte) stellen in Deutschland einen bedeutenden Anteil an Arbeitsplätzen. Dabei verfügen KMU häufig über begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen, um potentielle arbeitsbedingte Belastungsfaktoren zu vermeiden oder darauf zu reagieren. Hausarztpraxen sind etablierte Kleinstunternehmen mit erheblicher sozioökonomischer und politischer Bedeutung. Dabei zeigen Studien zu Stressbelastungen in Hausarztpraxen ein überdurchschnittliches Stressempfinden von Ärzten, Ärztinnen und Medizinischen Fachangestellten (MFA). Stellvertretend für KMU werden daher im Rahmen dieser Studie Führungsaspekte und psychische Belastungsfaktoren in Hausarztpraxen untersucht.

Es werden führungsbezogene Aspekte zum Themenfeld Arbeitsorganisation (Arbeitszeit) und Arbeitsumgebung (Arbeitsplatzgestaltung/Rückzugsmöglichkeiten) vorgestellt. Dabei werden potentielle Belastungen ausgewählt, die sich auf weitere KMU außerhalb des Gesundheitsbereiches übertragen lassen.

Die Daten der vorliegenden Studie wurden im Rahmen des vom BMBF-geförderten Verbundvorhabens IMPROVEjob (FKZ: 01GL1751A) erhoben.

Fragestellung: Wie gestalten Führungskräfte Pausenregelungen und Dienstzeiten in KMU und wodurch können dabei Fehlbelastungen resultieren?

Methode (inkl. Studiendesign, Datenerhebung und -auswertung): Mittels eines ethnographischen Forschungsdesigns werden spezifische Belastungen in KMU erforscht, die zu psychischen Beanspruchungen führen. Die Datenerhebung erfolgte zwischen Februar und Mai 2018 in fünf Hausarztpraxen, indem teilnehmende Beobachtungen an jeweils fünf Arbeitstagen durch zwei Forscherinnen durchgeführt wurden. Im Laufe der Beobachtungswochen fanden zusätzlich Einzelinterviews mit Führungskräften sowie Fokusgruppendiskussionen mit Angestellten statt. Die Methodenkombination bietet eine umfassende Sicht auf Arbeitskontexte, Arbeitsbedingungen und Prozesse innerhalb der KMU aus sich gegenseitig ergänzenden Perspektiven.

Die Beobachtungsprotokolle und Transkripte werden gemäß der Grounded Theory im interdisziplinären Team analysiert. Die Analysen werden bis zur Tagung abgeschlossen sein, so dass detaillierte Ergebnisse vorliegen werden.

Ergebnisse: Die Analyse fokussiert insbesondere auf Belastungsfaktoren, die in Hausarztpraxen beobachtet oder geäußert wurden, aber branchenübergreifend relevant sein können. Im Datenmaterial werden u. a. Personalführung und Gestaltung von Dienstzeiten als potentielle Belastungen genannt. Es zeigt sich, dass Hausärzte/Hausärztinnen Führungsverhalten nicht im Rahmen der Ausbildung, sondern erst in der praktischen Anwendung erlernen. Unternehmensaspekte werden seitens der Führungskräfte mitunter als herausfordernd wahrgenommen. Aufgrund des methodenpluralen Zugangs wurden darüber hinaus auch unbewusste oder zumindest nicht artikulierte Führungsaspekte sichtbar, die ebenfalls das Stressempfinden – sowohl von Führungskräften als auch von Angestellten – erhöhen können. Dazu gehört u. a. die Pausenkultur eines Unternehmens. Dabei ist es z. B. relevant, inwiefern die räumliche und zeitliche Gestaltung von Pausen durch die Führungskraft ermöglicht, organisiert und vorgelebt wird. Haben Führungskräfte und Angestellte einen ausgewiesenen Pausenraum zur Verfügung? Können Pausen während der Dienstzeit planmäßig oder nach individuellem Bedarf in Anspruch genommen werden? Diese und weitere Fragen werden im Beitrag verfolgt. In ähnlicher Weise soll die Aufbereitung zur Dienstzeitgestaltung erfolgen.

Diskussion: Anhand der ausgewählten Beispiele aus dem Datenmaterial wird der Mehrwert der Methodentriangulation deutlich. Die Ergebnisse einzelner Methoden ergänzen sich insbesondere hinsichtlich bewusster und unbewusster Belastungen, die artikuliert oder beobachtet wurden.

Vor dem Hintergrund bestehender Modelle zu psychischen Belastungen und Arbeitszufriedenheit (z. B. Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitszeit), werden die Ergebnisse bezüglich ihrer Übertragbarkeit auf weitere KMU diskutiert.

Praktische Implikation: Die Ergebnisse dienen der Vorbereitung für eine empirische Anschlussstudie zu Prozessen und Faktoren psychischer Belastungen in weiteren KMU anderer Branchen. Diese empirische Studie wird die Prüfung von Transferoptionen für die derzeitig zu entwickelnde multimodalen Intervention des Forschungsverbundes in andere KMU unterstützen und ergänzen.

Anmerkung: Der Beitrag wird von den Autorinnen und Autoren stellvertretend für den Forschungsverbund IMPROVEjob präsentiert.