gms | German Medical Science

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Ein regelbasiertes Gesundheitssystem im Realitätscheck

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • Klaus Piwernetz - medimaxx health management GmbH, Public Health, Aschau, Germany
  • Edmund A. M. Neugebauer - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Campus Neuruppin, Präsidium, Neuruppin, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf102

doi: 10.3205/19dkvf102, urn:nbn:de:0183-19dkvf1021

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Piwernetz et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Deutschland hat ein selbstverwaltetes Gesundheitssystem mit 5 Ebenen: Gesundheitspolitik, Selbstverwaltung, Regionale Strukturen, Versorgungseinrichtungen, Behandlungsebene. Aktuelle gesetzliche und nachgesetzliche Korrekturmaßnahmen zeigen, dass das Gesundheitssystem angesichts der aktuellen Herausforderungen an seine Grenzen gekommen ist. Die Gesundheitspolitik sieht keine anderen Möglichkeiten als per Gesetz oder Verordnung tief in eigentlich selbstverwaltete Angelegenheiten einzugreifen. In der 18. Legislatur wurden 49 Gesetze in Kraft gesetzt (Stand 31.12.2017), in der 19. sind es bis jetzt 18 Gesetze und Verordnungen (Stand 15.4.2019). Besonders deutlich zeigen sich die Grenzen der Einflussnahme z.B. bei: Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), Pflegepersonal-Untergrenzen Verordnung (PpUGV), planungsrelevante Qualitätsindikatoren (Plan-QI-RL), Implantateregister-Errichtungsgesetz (EDIR), Mindestmengen-Regelung (Mm-R), elektr. Arzneimittelinformations-Verordnung (EAMIV).

Fragestellung: Gelingt es mit einem regelbasierten Systemmodell bessere Lösungswege zur Systemoptimierung aufzuzeigen? Lassen sich auf dieser Grundlage Gesetze, Verordnungen und Richtlinien analysieren sowie Auslöser, Hebel und Folgen identifizieren?

Methode:

1.
Definition von 15 nachvollziehbaren einfachen Regeln für ein besseres Gesundheitssystem
2.
Systematische Analyse aktueller Gesetzesvorhaben auf Basis der der Regeln
3.
Herleitung von Konsequenzen für eine Optimierung des Gesundheitssystems.

Ergebnisse: Anhand von sechs aktuellen Beispielen konnte gezeigt werden, dass die Ebenen von der Gesundheitspolitik auf Bundesebene bis zu den leistungserbringenden Einrichtungen nicht so steuernd und gestaltend zusammenwirken, als dass hierdurch akute Probleme zeitnah, aufwandsarm und nachhaltig gelöst werden. Besonders zeigt sich dies an der Schnittstelle zwischen der Gesundheitspolitik und der Selbstverwaltung (SV) mit GBA, KBV und DKG sowie an direkten Eingriffen in die Organisation von Krankenhäusern und Praxen.

TSVG: Das TSVG zwingt die SV Terminservicestellen einzurichten und Termine bei FÄ zu vermitteln. Für Hausärzte wird ein Bonus ausgelobt, wenn sie bei einem Neupatienten selbständig einen ersten Termin vereinbaren. Wer wird Neupatient?

PpUGV: Das BMG hat per Verordnung Mindestzahlen für das Pflegepersonal festgelegt. Die Krankenhäuser bekommen Kosten nur dann erstattet, wenn sie die geforderte Besetzung mit Vollzeitkräften nachweisen. Pflegekräfte werden also in attraktiven Bereichen konzentriert.

Plan QI-RL: Der GBA beauftragte das IQTiG, Plan QI für die stationäre Versorgung zu entwickeln. Ohne Gesundheitsziele und Behandlungspfade behilft sich der GBA mit Strukturindikatoren und mit dem Konstrukt 'Patientengefährdung'. Ambulante Versorgung bleibt weiter unberücksichtigt.

Mm-R: Die Mm-R des GBA sind zum 01.04.2019 in Kraft getreten. Alle Studien zeigen, dass es im Zusammenhang zwischen Mengen und Qualität keinen scharfen Sprung gibt. Mindestmengen sind politische Setzungen.

EDIR: Ab Mitte 2021 sollen als erste Implantate 'voraussichtlich' Hüftgelenk- und Knie-Endoprothesen sowie Brustimplantate erfasst werden können. Eine erfreuliche Initiative, aber zu spät, zu langsam und unzureichend.

EAMIV: Bei der Dokumentation von Arzneimitteln soll die Kommunikation zwischen Behandlern ermöglicht und die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöht werden. Ein wichtiger Start, aber eigentlich hätte dies die Selbstverwaltung lange erarbeitet haben müssen.

Bei den Beispielen wurde geprüft, was die gesetzgeberische Intervention erforderlich machte und wie sich die gravierenden Eingriffe hätten vermeiden lassen.

Hauptursachen für die Interventionen waren: fehlende Gesundheitsziele (6/6), keine zielbasierte Delegation an die Selbstverwaltung (6/6), fehlende Intervention der direkt aufsichtführenden Einrichtungen (5/6), unbekannter Versorgungsbedarf (4/6), keine Transparenz über Ergebnisse und Ressourcenverbrauch (4/6), mangelhafte Interoperabilität zur Datennutzung (3/6).

Ein vergleichbares Muster zeigt sich bei der Analyse der 49 Gesetze aus der 18. Legislatur.

Diskussion: Ohne operationalisierbare Gesundheits- und Versorgungsziele kann eine formale Beauftragung über Gesetze, Verordnungen oder Richtlinien nicht gelingen. Verantwortung kann nicht verbindlich zugewiesen, der Zielerreichungsgrad nichterhoben und nicht transparent dargestellt werden.

Die Regelbasis ist geeignet, auch bereits gültige Gesetze zu analysieren. Die gesetzlichen Interventionen werden durch die immer gleichen Defizite ausgelöst. Jedoch werden die Auslöser nicht nachhaltig korrigiert.

Praktische Implikationen: Das regelbasierte System ermöglicht es zu analysieren, an welcher Stelle aktuelle Probleme im Gesundheitssystem wirksam werden, wer dadurch beeinträchtigt wird, welche Folgen die Probleme auslösen. Auf der Grundlage der Regeln könnten mnache Gesetzgebungsverfahren überflüssig werden! Eine Kostenanalyse inkl. Fehlerkosten sollte erfolgen.