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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Wenn der Nachbar aufhilft – Potenziale und Herausforderungen im Kontext von Sturzmanagement und bürgerschaftlichem Engagement

Meeting Abstract

  • Britta Magers - FH Münster, FB Gesundheit, Münster, Germany
  • Kerstin Wippermann - Fachhochschule Münster, Fachbereich Münster, Münster, Germany
  • Kordula Wiefel - Fachhochschule Münster, Fachbereich Gesundheit, Münster, Germany
  • Anke Menzel-Begemann - Fachhochschule Münster, Fachbereich Gesundheit, Münster, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf095

doi: 10.3205/19dkvf095, urn:nbn:de:0183-19dkvf0953

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Magers et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Ein Großteil der Unfälle in Deutschland ist auf Stürze zurückzuführen (RKI, 2016). Während das Risiko zu stürzen über alle Altersgruppen hinweg besteht (DIMDI, 2012), zeigt sich ein Anstieg des Sturzgeschehens mit zunehmendem Lebensalter (RKI, 2016).

Neben Verletzungen und Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens sind psychosoziale Sturzfolgen von gesundheitswissenschaftlicher Relevanz (DIMDI, 2012; DNQP, 2013), da sie die soziale Teilhabe beeinflussen können (Yardley & Smith, 2002). Die in internationalen Studien am häufigsten beschriebene psychische Sturzfolge ist die Sturzangst (Tideiskaar 2008; Peters & Fröbel 2013). Sie steht in engem Zusammenhang mit der Vermeidung von Aktivitäten und kann sowohl das Risiko weiterer Stürze erhöhen als auch den Verlust motorischer Fähigkeiten, von Autonomie, Lebensqualität sowie den sozialen Rückzug begünstigen (Scheffer et al., 2008; Gill et al., 2004; Masud & Morris, 2001; Yardley & Smith, 2002; Zijlstra et al., 2007).

Zur Reduzierung von Stürzen und Sturzfolgen wird das Empowerment des sozialen Umfelds zur Unterstützung bei sturzpräventiven Interventionen (DNQP, 2013; DNQP, 2006) und bei der Hilfeleistung nach einem Sturzereignis als förderlich erachtet. Technische Hilfsmittel wie Notrufsysteme dienen der zeitnahen Alarmierung vorab festgelegter Personen wie Angehörige, Pflegedienste u./o. Rettungsdienste (Sposaro & Tyson, 2009; Rantz et al. 2013). Insbesondere im ländlichen Raum gelingt es den Rettungsdiensten jedoch nur zum Teil, innerhalb festgelegter (Hilfs-)Fristen am Notfallort einzutreffen (Kreis Steinfurt, 2017). Eine solche Versorgungslücke könnte durch die Einbindung von Personen aus dem näheren sozialen Umfeld, die durch ein erstes Nachsehen u./o. Aufhelfen eine bedeutende Rolle spielen können, überbrückt oder gar geschlossen werden (vgl. „Mobile Retter“; Stroop et al., 2015).

Fragestellung: Wie gestaltet sich ein Sturzmanagement, das das bürgerschaftliche Engagement und technische Unterstützungsmöglichkeiten verbindet?

Methode: Das methodische Vorgehen ist eingangs geprägt von interaktiven Dialogformaten. So wurde Bürgern eine Sturzgeschichte entweder aus Sicht einer gestürzten oder aus Sicht einer aufhelfenden Person als Hörspiel vorgespielt. Beide Hörspiele endeten mit der Aufforderung zu beschreiben, was einem (a) durch den Kopf geht, nachdem man in der Wohnung gestürzt ist und auf Hilfe wartet oder (b), auf dem Weg zur gestürzten Person.

Die Gedanken aus Sicht der gestürzten (n = 171) und der aufhelfenden Personen (n = 264) wurden qualitativ inhaltsanalytisch nach Mayring (2010) ausgewertet. Die jeweiligen Kategoriensysteme wurden induktiv auf Basis des Datenmaterials entwickelt.

Ergebnisse: Die Auswertung verdeutlicht für die Perspektive der Gestürzten zahlreiche sowohl negative als auch positive Empfindungen. Diese reichen von Scham, dass andere für einen aufstehen müssen oder einen in dieser misslichen Lage sehen, über Hoffnung bis hin zu Erleichterung und Dankbarkeit.

Als Erwartungen an die Helfenden wird formuliert, dass die aufhelfende Person ausreichend Kompetenzen besitzt und zeitnah sowie empathisch hilft. Von der Technik wird erwartet, dass sie zuverlässig das Sturzereignis meldet.

Bei den Gedanken aus Sicht der Aufhelfenden spielt die korrekte Hilfeleistung und Unterstützung in der Sturzsituation eine wichtige Rolle. In knapp der Hälfte der Aussagen kam zum Ausdruck, ob die Kompetenzen ausreichend seien, eine zeitnahe Hilfe gewährleistet werden könne oder doch direkt professionelle Hilfe organisiert werden solle.

Auch aus Sicht der Helfenden wurden vielfältige Empfindungen beschrieben. So wurde einerseits die Angst bzw. Sorge vor der unbekannten Situation, andererseits die Freude, jemandem in der Sturzsituation helfen zu können, benannt.

Schlussfolgerung und Ausblick: Die Befragung liefert erste wichtige Erkenntnisse über die Einstellung zum bürgerschaftlich begleiteten Sturzmanagement. Sie dienen der inhaltlichen Gestaltung zukünftiger Dialogformate, in denen ein tragfähiges und akzeptiertes regional verankertes Sturzmanagement entwickelt werden soll.