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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Erstversorgung von Herzinfarktpatienten – Daten eines vom Innovationsfonds geförderten Projektes zu Diagnosesicherheit und konsekutiver Versorgungszeit

Meeting Abstract

  • Ilja Jacob - Berlin-Brandenburger Herzinfarktregister e.V., Berlin, Germany
  • Leonhard Bruch - Unfallkrankenhaus Berlin, Klinik für Innere Medizin/Kardiologie, Berlin, Germany
  • Frank Heinrich - Rettungsdienst Oberhavel GmbH, Oberhavel, Germany
  • Andreas Kühne - Havelland Kliniken, Klinik Rathenow, Rettungsdienst Havelland, Rathenow, Germany
  • Hans Minden - Oberhavel Kliniken, Standort Henningsdorf, Innere Medizin/Schwerpunkt Kardiologie, Henningsdorf, Germany
  • Stefan Poloczek - Berliner Feuerwehr, Rettungsdienst, Berlin, Germany
  • Thorsten Reinhold - Rettungsdienst Oberhavel, Oberhavel, Germany
  • Ralph Schoeller - DRK Kliniken Berlin, Westend, Klinik für Kardiologie, Berlin, Germany
  • Helmut Schühlen - Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum, Klinik für Innere Medizin - Kardiologie, Diabetologie und konservative Intensivmedizin, Berlin, Germany
  • Martin Stockburger - Havelland Kliniken, Nauen, Innere Medizin/Kardiologie, Nauen, Germany
  • Heinz Theres - Mecial Park Berlin Humboldtmühle, Klinik für Kardiologie/Innere Medizin, Berlin, Germany
  • Birga Maier - Berlin-Brandenburger Herzinfarktregister e.V., Berlin, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf093

doi: 10.3205/19dkvf093, urn:nbn:de:0183-19dkvf0933

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Jacob et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Bei einem Myokardinfarkt mit ST-Streckenhebung im EKG (STEMI) spielt die qualifizierte und schnelle Notfallerstversorgung eine herausragende Rolle. Aus diesem Grund werden die europäischen Leitlinienempfehlungen der ESC für STEMI-Patienten zunehmend ambitionierter formuliert. Bis 2017 wurde für primär in eine Katheterklinik eingewiesene STEMI-Patienten eine Zeit von < 60min von der Klinikaufnahme bis zur Wiederherstellung der kardialen Durchblutung mittels perkutaner Koronarintervention (PCI) empfohlen (sog. door-to-balloon-time, DTB). Voruntersuchungen zeigten dabei, dass die Eindeutigkeit der Erstdiagnose ‚STEMI‘ auf Basis des EKG maßgeblich die DTB beeinflusst: Erfolgt die Diagnosestellung bereits bei Erstkontakt, z.B. durch den Notarzt (NA), ist die Zeit bis zur Reperfusion signifikant kürzer.

Fragestellung: Wie zuverlässig und eindeutig erfolgt die Diagnose eines ‚STEMI‘ bei vom Notarzt versorgten Herzinfarkt-Patienten durch den Notarzt selbst und in der Aufnahme-Klinik? Welchen Einfluss hat die initiale Diagnose auf die Versorgungszeit (DTB)?

Methodik: Es wurden die stationären Daten von allen akuten Herzinfarktpatienten aus 22 Krankenhäusern einer deutschen Großstadt und 2 Kliniken einer ländlichen Region mit dazugehörigen prästationären Daten der Rettungsdienste für das Jahr 2016 prospektiv erhoben und verknüpft. Die Krankenhaus-Daten umfassen dabei die individuellen Patienten- sowie diagnostische und strukturelle Daten; Versorgungszeiten und Primärdiagnostik (EKG-Diagnose des NA) wurden aus den Rettungsdienst-Daten extrahiert. Alle verfügbaren NA-EKG wurden verblindet durch kardiologische Experten hinsichtlich des Vorhandenseins einer ST-Streckenhebung nachbefundet und dienten der Zuordnung der Patienten zur Studienkohorte.

Datenauswertung: Die Notarzt-EKG von 1617 Herzinfarktpatienten, die keine Lyse-Therapie erhielten, direkt in eine Katheterklinik kamen, kein Kammerflimmern erlitten und eine PCI innerhalb von 24h erhielten, wurden untersucht. Bei 897 der 1617 Patienten wurde bei der EKG-Nachbefundung eine ST-Hebung festgestellt. Diese Patienten wurden in die Analysekohorte eingeschlossen. Im Verlauf wurde die Diagnoserate ‚STEMI‘ des NA und der aufnehmenden Klinik bestimmt. Darüber hinaus wurde der Einfluss der Diagnose ‚STEMI‘ auf die DTB bestimmt. Die DTB dient als Indikator für die Versorgungsqualität und als Surrogatparameter für Mortalität und Morbidität.

Ergebnisse: Bei 757 (84,4%) von 897 Patienten der STEMI-Kohorte wurde vom NA auch die Diagnose ‚STEMI‘ gestellt (erkannt) – dabei wurden auch 180 Patienten mit indirekter STEMI Diagnose des NA dieser Gruppe zugeordnet (z.B. ACS mit Hebung). Vom NA nicht erkannt wurden 140 Patienten (15,6%).

Die Basischarakteristika der beiden Gruppen unterschieden sich wie folgt: ‚Erkannt‘: mittleres Alter=63,9 Jahre; Frauen=27,6%; Hypertonus=68,8%; Diabetes=20,6%; Niereninsuffizienz=10,4%;

‚Nicht erkannt‘: mittleres Alter=65,4 Jahre; Frauen=24,3%; Hypertonus=74,6%; Diabetes=27,3%; Niereninsuffizienz=16,5%.

Die medianen DTB-Zeiten ergaben: NA (erkannt): 56min; NA (n. erkannt): 94min. Bei der nachfolgenden Aufnahme im Krankenhaus wurden 101 der vom NA primär nicht erkannten STEMI-Patienten, als STEMI klassifiziert – womit im Verlauf betrachtet bei 875 (~96%) der STEMI-Patienten die Diagnose STEMI gestellt wurde. Bei den Patienten, die primär nicht vom NA, aber dann im Krankenhaus erkannt wurden, betrug die mediane DTB 77min.

Diskussion: Mit der Analyse gelingt es, Patienten vom Notarzt bis ins Krankenhaus direkt zu verfolgen. STEMI-Patienten, bei denen die Diagnose bereits durch den Notarzt gestellt wird, werden ungefähr zur Hälfte in einer leitliniengerechten Versorgungszeit (DTB) mittels PCI behandelt. Allerdings wird bei einem nennenswerten Anteil von Patienten mit im NA-EKG sichtbarer ST-Hebung initial nicht die Diagnose ‚STEMI‘ durch den Notarzt gestellt. Im Aufnahme-Krankenhaus wird zwar bei sehr vielen dieser Patienten der STEMI im Verlauf erkannt, jedoch kann damit lediglich der Verlust an Versorgungszeit begrenzt werden. Mit einer medianen Versorgungszeit von 78min kann eine leitliniengerechte Versorgung (< 60min) bei einem Großteil dieser Patientengruppe nicht mehr realisiert werden.

Praktische Implikationen: Der sicheren und eindeutigen präklinischen STEMI-Diagnose kommt eine Schlüsselrolle in dem Bemühen um eine leitliniengerechte Versorgung zu. Ob mit spezifischen Interventionen (Schulungen, EKG-Übertragung) die Diagnoserate gesteigert werden kann bzw. sich Zeiten verkürzen lassen, wird im weiteren Projektverlauf untersucht.