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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Kollaborative Zusammenarbeit am Beispiel der Versorgung von Menschen ohne Lautsprache mit Unterstützter Kommunikation

Meeting Abstract

  • Sarah A. K. Uthoff - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften, Department für Versorgungsforschung, Organisationsbezogene Versorgungsforschung, Oldenburg, Germany
  • Anna Zinkevich - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften, Department für Versorgungsforschung, Organisationsbezogene Versorgungsforschung, Oldenburg, Germany
  • Jens Boenisch - Universität zu Köln, Humanwissenschaftliche Fakultät, Department Heilpädagogik und Rehabilitation, Köln, Germany
  • Stefanie K. Sachse - Universität zu Köln, Humanwissenschaftliche Fakultät, Department Heilpädagogik und Rehabilitation, Köln, Germany
  • Tobias Bernasconi - Universität zu Köln, Humanwissenschaftliche Fakultät, Department Heilpädagogik und Rehabilitation, Köln, Germany
  • Lena Ansmann - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften, Department für Versorgungsforschung, Organisationsbezogene Versorgungsforschung, Oldenburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf086

doi: 10.3205/19dkvf086, urn:nbn:de:0183-19dkvf0860

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Uthoff et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Kooperationen in der Gesundheitsversorgung sind seit geraumer Zeit international sowie national ein großes Thema. Das politische Bestreben Vernetzung im Gesundheitswesen zu stärken, wird vor allem seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) 2004 umgesetzt. Vernetzung zwischen den Leistungserbringern soll die starren Grenzen zwischen den einzelnen Sektoren des Gesundheitswesens auflösen und dazu beitragen, den gegenwärtigen Herausforderungen wie begrenzten finanziellen Ressourcen, dem demografischen Wandel und dem damit einhergehenden erhöhten Vorkommen von chronischen Erkrankungen adäquat und effizient zu begegnen. In diesem Zusammenhang wurde im Rahmen dieser Forschungsarbeit, die kollaborative Zusammenarbeit am Beispiel der Versorgung in der Unterstützten Kommunikation (UK) definiert und untersucht. Die Versorgung von Menschen ohne Lautsprache, die auf Maßnahmen der UK (z.B. Symbolkarten, Sprachcomputer) angewiesen sind, ist durch mehrere Versorgungsprobleme geprägt. Diese Probleme entstehen u. a. aus der uneinheitlichen und nicht standardisierten Versorgung sowie den heterogenen Stakeholdern, dessen Zuständigkeiten in der Versorgung weitestgehend ungeklärt sind. Andererseits ist die Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder notwendig für den Einsatz und Erfolg von UK-Maßnahmen. Das Ziel der UK-Versorgung ist es, Alltagskommunikation und somit auch Teilhabe zu ermöglichen. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Stakeholder der verschiedenen Settings zusammen arbeiten und dieses Ziel gemeinsam patientenorientiert verfolgen.

Fragestellung: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der an der UK-Versorgung beteiligten Stakeholder?

Methode: Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde preformativ eine Ist-Analyse der kollaborativen Zusammenarbeit in der UK-Versorgung durchgeführt. Es sollte vor allem herausgearbeitet werden, wie die Zuständigkeiten der verschiedenen Stakeholder verteilt sind und welche potentiellen Probleme in der Zusammenarbeit bestehen. Hierfür wurden aus der Evaluationsstudie des Innovationsfonds-Projekts „Erweiterung des Selektivvertrags zu Maßnahmen der Unterstützten Kommunikation“ (MUK) die Daten von fünf Fokusgruppeninterviews verwendet. Die Zusammensetzung der Fokusgruppen war heterogen, da private Bezugspersonen (z. B. Eltern) sowie fachliche Bezugspersonen (z. B. Lehrer*innen, Erzieher*innen) der betreuten Personen mit UK-Bedarf teilnahmen. Interviews wurden mithilfe eines halbstandardisierten Interviewleitfadens durchgeführt und dauerten ca. 90 Minuten. Die Transkripte wurden unabhängig von zwei Forschenden in Form der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz mit MAXQDA ausgewertet. Die Transkripte wurden zunächst deduktiv anhand der Leitfragen kategorisiert. Darauf folgte in induktiver Form eine Differenzierung der Hauptkategorien in Subkategorien.

Ergebnisse: Es konnte herausgearbeitet werden, dass die Zusammenarbeit der an der Versorgung beteiligten Stakeholder als nicht ausreichend wahrgenommen wird. Oftmals bestünde kein Austausch zwischen den privaten und den fachlichen Bezugspersonen. Als zentrale Gründe wurden u. a. genannt, dass die Zusammenarbeit sehr vom jeweiligen Wissen der Stakeholder abhängig sei und die fachlichen Bezugspersonen zu wenig Zeit für die Zusammenarbeit hätten. Überwiegend negativ wurde insbesondere die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und den medizinischen Leistungserbringern bewertet. Dies wurde insbesondere in fehlendem Wissen über UK sowie ausbleibender Kostenübernahme seitens der Krankenkassen begründet.

Diskussion: Die Ergebnisse der Fokusgruppeninterviews führen potentielle Probleme der Zusammenarbeit auf, die negative Konsequenzen auf den Versorgungsablauf haben können. Da sehr viele Stakeholder an der UK-Versorgung beteiligt sind, konnten unterschiedlichste Formen der Zusammenarbeit und demzufolge eine Vielzahl von Problemsituationen erhoben werden. Somit treten Probleme in der Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft auf, die z.B. kein Rezept für ein UK-Hilfsmittel ausstellt, mit den Krankenkassen, die z. B. das Hilfsmittel nicht bewilligen oder mit den Bildungseinrichtungen, die z. B. das UK-Hilfsmittel im Unterricht nicht verwenden.

Praktische Implikationen: Insgesamt weisen die Ergebnisse der Fokusgruppeninterviews auf einen Interventionsbedarf bzgl. der Stärkung der Zusammenarbeit der beteiligten Stakeholder hin. Eine funktionierende Zusammenarbeit kann potentiell zu einem besseren Versorgungsablauf beitragen und die Umsetzung von UK positiv beeinflussen. Demzufolge sollten Strukturen und Prozesse geschaffen werden, die diese Zusammenarbeit ermöglichen und stärken. Dies könnte u. a. durch Wissensvermittlung über UK sowie die Sensibilisierung der Stakeholder für die Relevanz von UK erreicht werden. Insbesondere die Begleitung der Versorgung durch eine UK-Beratungsstelle, die Case Management leistet, könnte die Zusammenarbeit stärken.