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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Akzeptanz einer webbasierten Depressionsintervention zur Überbrückung der Wartezeit auf ambulante Psychotherapie

Meeting Abstract

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  • Sasha-Denise Grünzig - Institut für Psychologie der Universität Freiburg, Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg, Germany
  • Jürgen Bengel - Institut für Psychologie der Universität Freiburg, Abteilung Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg, Germany
  • Lena Violetta Krämer - Institut für Psychologie der Universität Freiburg, Abteilung Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf079

doi: 10.3205/19dkvf079, urn:nbn:de:0183-19dkvf0796

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Grünzig et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Patienten warten in Deutschland durchschnittlich fünf Monate auf den Beginn einer ambulanten Psychotherapie. 85% der vorstelligen Patienten berichten depressive Symptome. Web-basierte Interventionen haben sich für die Reduktion depressiver Symptome als wirksam erwiesen und könnten zur Überbrückung von Wartezeiten eingesetzt werden. Bisherige Forschung deutet jedoch auf eine geringe Inanspruchnahme und heterogene Adhärenzraten bei webbasierten Depressionsinterventionen hin.

Fragestellung: Diese Studie untersucht die Akzeptanz einer begleiteten webbasierten Depressionsintervention (WBDI) unter Patienten mit depressiver Symptomatik in der Wartezeit auf ambulante Psychotherapie. Die WBDI umfasst sechs Module und basiert neben Psychoedukation auf Strategien der Verhaltensaktivierung sowie systematischem Problemlösen.

Methode: Patienten, die auf die Wartelisten von sieben kooperierenden Hochschulambulanzen aufgenommen werden, werden über die Möglichkeit zur Studienteilnahme informiert und gebeten einen Screeningbogen (T0) an das Projektteam zurückzusenden. Der Fragebogen erfasst neben dem Interesse an der WBDI und ggf. den Gründen für Nicht-Interesse auch Geschlecht, Alter, Depressivität, subjektive Computerkompetenz sowie Erfolgserwartung bezüglich einer WBDI. Patienten oberhalb des Depressions-Cutoffs (ADS-L > 22) werden zur Baseline-Erhebung (T1) eingeladen und nach Prüfung der Einschlusskriterien für eine anschließende randomisiert-kontrollierte Untersuchung der Interventions- oder Wartekontrollgruppe zugewiesen. Die Interventionsgruppe erhält Zugang zur begleiteten WBDI; die Adhärenz wird mittels der Anzahl abgeschlossener Module erfasst. Die Wartekontrollgruppe erhält zunächst keine Intervention und wird daher nicht in die Adhärenzanalysen eingeschlossen. Nach sieben Wochen (T2) werden Zufriedenheitsmaße in der Interventionsgruppe per Online-Fragebogen erhoben.

Ergebnisse: Nach ersten Analysen bekunden 29% (340/1143) der Wartelisten-Patienten Interesse an der WBDI. Interessierte Patienten sind im Mittel 36 Jahre alt (SD=13.27) und jünger als Nichtinteressierte (T(360)=-3.28; p < .001). Sie berichten für die WBDI eine höhere Erfolgserwartung (T(339)=14.26; p < .001) und eine höhere subjektive Computerkompetenz (T(67)=6.23; p < .001) als Nichtinteressierte. Meistgenannter Grund für Nichtinteresse an der WBDI ist eine mangelnde Erfolgserwartung. Interessierte, die in das anschließende RCT eingeschlossen wurden (vorläufiges N=104) sind im Mittel 36 Jahre alt (SD=12.11), zu 77% weiblich und zu 63% psychotherapieerfahren. Sie haben insgesamt positive Einstellungen sowohl zu Einzelpsychotherapie als auch zu psychologischen webbasierten Interventionen (Psychotherapie: M=2.40; SD=0.38; webbasierte Intervention: M=2.28; SD=0.36; Skala: 0-3). Unter Interventionsgruppenteilnehmenden beenden 54% alle 6 Module der WBDI; im Mittel werden 4 Module bearbeitet (SD=2.25). Weibliches Geschlecht ist ein Prädiktor für Adhärenz (β=.41; p < .01). T2-Completer (n=31) geben eine hohe Zufriedenheit mit der WBDI an (M=3.06; SD=0.54; Skala: 1-4). Adhärenz und Zufriedenheit korrelieren mit r=.52 (p < .01).

Diskussion: Eine WBDI stellt für eine Subgruppe von Wartelisten-Patienten eine attraktive Maßnahme zur Überbrückung der Wartezeit dar. Rund ein Drittel der Wartelisten-Patienten bekundet Interesse an einer WBDI. Die restlichen zwei Drittel der Wartelisten-Patienten zeigen kein aktives Interesse an der Intervention. Neben der mangelnden Erfolgserwartung ist anzunehmen, dass ein Teil der Patienten sich aufgrund des Interventionsfokus auf depressive Symptome nicht angesprochen fühlt. Das Angebot verschiedener webbasierter Interventionen, die neben depressiven auch auf andere Symptome abzielen (z.B. Angst, Schmerzen), könnte zu einer höheren Inanspruchnahme beitragen. Die Akzeptanz ist insbesondere bei jüngeren Patienten hoch, die sich als kompetent im Umgang mit Computern erleben. Dass Teilnehmende sowohl webbasierten Interventionen als auch Psychotherapie gegenüber positiv eingestellt sind, spricht für die Akzeptanz niedrigintensiver Interventionen.

Praktische Implikationen: Akzeptanzsteigernde Maßnahmen sollten über die Wirksamkeit von webbasierten Interventionen informieren um Patienten zu erreichen, die aufgrund mangelnder Erfolgserwartung bislang nicht an einer WBDI interessiert sind. Um mehr Wartelisten-Patienten für eine niedrigintensive Intervention zu gewinnen, könnten Angebote auf verschiedene Interventionsformate, wie Biblio- oder Gruppentherapeutische Interventionen, ausgeweitet werden. Dabei sollten Interventionen entsprechend der Wünsche und Bedürfnisse der Nutzenden adaptiert werden, um Zufriedenheit und Adhärenz zu steigern. Der strukturierte und systematische Einsatz niedrigintensiver Interventionen vor Psychotherapie, bspw. im Sinne von Stepped-Care Behandlungsmodellen mit verschiedenen Wahloptionen könnte perspektivisch zu einer verbesserten Patientenversorgung und Ressourcenallokation beitragen.