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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Konstrukttheoretische Auseinandersetzung mit der sozialen Partizipation von Jugendlichen zur Entwicklung eines Partizipationsmessinstruments für die (Re-)Habilitation – internationale Perspektiven

Meeting Abstract

  • Astrid Fink - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Medizinische Soziologie, Halle, Saale, Germany
  • Olaf Martin - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Medizinische Soziologie, Halle, Saale, Germany
  • Laura Hoffmann - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Medizinische Soziologie, Halle, Saale, Germany
  • Markus Spreer - Universität Leipzig, Institut für Förderpädagogik, Leipzig, Germany
  • Britta Gebhard - Hochschule Nordhausen, Studienbereich Gesundheit und Sozialwesen, Nordhausen, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf074

doi: 10.3205/19dkvf074, urn:nbn:de:0183-19dkvf0749

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Fink et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Für Jugendliche ist die Partizipation (Teilhabe) in verschiedensten Lebenssituationen wichtiger Bestandteil ihrer Entwicklung, da sie grundlegend und prägend den sozialen Erfahrungsbereich, die sozial-emotionale Entwicklung und Dimensionen der Kompetenzerfahrung beeinflussen. Die Bedeutsamkeit der sozialen Teilhabe (Partizipation) hat sich im Rahmen der sozialpolitischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte etabliert und im Bereich (re-)habilitativer Prozesse durchgesetzt. Sowohl in der ICF-CY als auch im u.a. im Bundesteilhabegesetz nimmt die Partizipation eine zentrale Stellung ein. Es wird empfohlen, Partizipation als zentrales Ziel von (Re-)Habilitations- und Fördermaßnahmen zu setzen. Bislang stehen für Jugendliche in Deutschland allerdings keine verlässlichen Messinstrumente zur Erhebung und Evaluation der vom Gesetzgeber vorgesehenen Kernzielgröße Partizipation zur Verfügung.

Ziel: Ziel des von der DFG-geförderten Projektes ist es, ein Partizipationsmessinstrument für Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren zu entwickeln. Hierfür wird zuerst der internationale Stand der Diskussion um den Begriff „soziale Partizipation“ bei Jugendlichen mit körperlichen Beeinträchtigungen und/oder chronischen Erkrankungen beleuchtet und in diesem Beitrag dargestellt.

Ergebnis: Die Diskussion um die soziale Partizipation von Jugendlichen und die Einbettung in das Bundesteilhabegesetz basiert im deutschsprachigen Raum überwiegend auf der International Classification of Functioning, Disabilities and Health for Children and Youth (ICF-CY). Hier wird Partizipation als das „Einbezogen sein in eine Lebenssituation“ beschrieben. In der praktischen Arbeit mit der ICF-CY stellt allerdings die fehlende Abgrenzung von Partizipation und Aktivität eine große Herausforderung dar, wobei auch die Einführung der „qualifier“ und die „Core-Sets“ keine komplett zufriedenstellende Lösung für die fehlende Abgrenzung brachte.

Auf internationaler Ebene scheint die Diskussion zur Differenzierung von Partizipation und Aktivität nicht länger im Vordergrund zu stehen, sondern mit Hilfe der Familie der partizipations-zugehörigen Konstrukte (Family of participationrelated constructs fPRC) soll das Phänomen „Partizipation“ konkretisiert werden. Dabei wird zunächst angenommen, dass Partizipation zwei Komponenten beinhaltet, Teilnahme („attendence“) sowie Eingebundensein und werden/Beteiligung („involvement“). Die Teilnahme, hier verstanden als die „bloße“ Anwesenheit („beeing there“), kann an der Häufigkeit und/oder der Vielfältigkeit der Tätigkeiten, an denen das Individuum teilnimmt, erfasst werden. Diese Teilnahme rahmt (oder beinhaltet) das Eingebunden-sein und werden/Beteiligung. Dies soll die subjektive Erfahrung der Teilhabe während der Teilnahme abbilden und beinhaltet Elemente des Engagements, der Hingabe, Motivation, Ausdauer und auch der sozialen Verbundenheit. Die Teilnahme ist notwendige aber nicht ausreichende Voraussetzung für das Eingebundensein.

Innerhalb der fPRC wird Partizipation so definiert, dass sie konzeptionell getrennt ist von der Lebenssituation und den Fähigkeiten, die in der Aktivität benötigt werden. Das Konzept der fPRC kann bei jedem Individuum mit jedem Kompetenzlevel auf jede Aktivität oder jedes Setting bezogen werden. Intrinsische personenbezogene Konzepte, die innerhalb der fPRC mit Partizipation zusammenhängen aber nicht gleichzusetzen sind, sind Aktivitätskompetenz, Selbst-Verständnis und Präferenzen. Die Familie der partizipations-zugehörigen Konstrukte beschreibt darüber hinaus den Kontext und das breitere Umfeld/die Umgebung, in dem die Partizipation auftritt. Diese sind integrale Bestandteile der Transaktionsprozesse, die im Laufe der Zeit stattfinden. Der Kontext stellt eine persönliche Dimension dar, die sich auf die Personen, den Ort, die Aktivität, die Objekte und die Zeit der Partizipation bezieht. Das Umfeld/Umgebung ist ein externer Faktor, der sich auf die umfassenden, objektiven sozialen und physischen Verhältnisse, in denen wir leben, bezieht. Die Umgebung beeinflusst die Personen sowohl direkt (z.B. Wirkung von Medikamenten) als auch indirekt (z.B. Beeinflussung der Wahrnehmung von Möglichkeiten oder Hindernissen). Anders herum gestalten die Menschen durch ihr Engagement die Umgebung – ein wechselseitiger Prozess setzt ein.

Diskussion: Die Familie der partizipations-zugehörigen Konstrukte soll ein vertiefendes Verständnis von Partizipation vermitteln und die Beziehungen zwischen wichtigen intrinsischen und extrinsischen Faktoren beschreiben, die einerseits von vorangegangener Partizipation beeinflusst sind und andererseits zukünftige Partizipation beeinflussen. Diese Differenzierung sollte bei der konstrukttheoretischen Fundierung eines Partizipationsmessinstruments Berücksichtigung finden.