gms | German Medical Science

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Finanzielle Zuwendungen der Industrie an Leitliniengruppen-Mitglieder: Eine Analyse basierend auf der US-amerikanischen Open-Payments-Datenbank

Meeting Abstract

  • Dominique Rodil dos Anjos - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl Arbeitsmedizin und Betriebliches Gesundheitsmanagement, Witten, Germany
  • Eva Eisch - Institut der deutschen Wirtschaft, IW Medien, Köln, Germany
  • Dawid Pieper - Universität Witten/Herdecke, Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Köln, Germany
  • Tim Mathes - Universität Witten/Herdecke, Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Köln, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf063

doi: 10.3205/19dkvf063, urn:nbn:de:0183-19dkvf0633

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Rodil dos Anjos et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Leitlinien sind eine der wichtigsten Informationsquellen zur Unterstützung der klinischen Entscheidungsfindung und enthalten Handlungsempfehlungen, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Diese Handlungsempfehlungen sollten im Sinne der Wissenschaft frei von Verzerrungen sein und ausschließlich darauf abzielen, das Patientenwohl zu maximieren. Um dies zu gewährleisten, sollten die Handlungsempfehlungen nicht von Interessenkonflikten (hier definiert als eine finanzielle Zuwendung in Höhe von über 500 USD) beeinflusst sein oder, falls potenzielle Interessenkonflikte bestehen, diese transparent dargelegt werden.

Fragestellung: Ziel dieser Arbeit war die Analyse der finanziellen Unterstützung von Leitliniengruppen-Mitgliedern (LGM) durch die Pharma- und Medizinproduktindustrie. Darüber hinaus sollte die Vollständigkeit der Angaben der LGM untersucht werden. Das wesentliche Forschungsvorhaben beschäftigt sich mit der Frage, ob Leitliniengruppen-Mitglieder frei von Interessenkonflikten sind und falls nicht, diese zumindest kenntlich gemacht sind.

Methodik: Es wurde eine Handrecherche nach internationalen Leitlinien auf der Internetseite des National Guideline Clearinghouse, einer im Jahre 1997 gegründeten Initiative der Agency for Healthcare Research and Quality, durchgeführt. Alle verfügbaren und im Jahr 2017 publizierten Leitlinien wurden eingeschlossen und die Namen sämtlicher Leitliniengruppen-Mitglieder extrahiert. Für jedes Mitglied wurden die finanziellen Zuwendungen von der Industrie, die in den vorangegangenen vier Jahren (2013-2016) vor der Publikation der Leitlinien erfolgten, aus „Open-Payments“ extrahiert. Open-Payments ist eine Datenbank, in der sämtliche finanzielle Zuwendungen der Industrie an Ärzte, die in der öffentlichen US-amerikanischen Gesundheitsversorgung (Medicare, Medicaid) tätig sind, offengelegt werden. Die erhaltenen Zuwendungen wurden anschließend mit den Angaben in den entsprechenden Leitlinien überprüft: Eine Verneinung eines Interessenkonflikts trotz des Bestehens wurde als Meinungsverschiedenheit (Disagreement) deklariert. Das Bestehen eines Interessenkonflikts bei keiner Angabe wurde als verborgener Interessenkonflikt (Hidden CoI) betitelt. Alle Extraktionen wurden von einer Person vorgenommen und von einer zweiten Person verifiziert. Die Daten wurden insgesamt und nach Fachrichtung getrennt deskriptiv aufbereitet und anschließend ausgewertet. Die Analysen wurden mit Microsoft Excel und R Version 3.0.2. durchgeführt.

Ergebnisse: Es wurden insgesamt 81 Leitlinien aus 11 Fachbereichen identifiziert. Von diesen konnte für 543 LGM, Angaben aus Open-Payments extrahiert werden. Für 34% der LGM konnte keine Erklärung zu individuellen Interessenkonflikten in den Leitlinien oder assoziierten Dokumenten gefunden werden. Die Gesamtsumme der Zuwendungen aller Mitglieder in den letzten vier Jahren vor den Leitlinien Publikationen belief sich auf 10.844.938 USD. 62% der LGM erhielten mindestens 500 USD. Von diesen gaben 17% an, keine Interessenkonflikte zu haben. Im Durchschnitt erhielt ein LGM 19.972 USD und im Median 1.328 USD. Die medianen finanziellen Zuwendungen waren mit 4.113 USD in der Onkologie und mit 25.971 USD in der Chirurgie am höchsten. Am niedrigsten waren die medianen finanziellen Zuwendungen im Bereich der Rehabilitation/Physiotherapie mit 745 USD sowie in der Geriatrie mit 656 USD. Die durchschnittlichen Zuwendungen waren in den Bereichen Chirurgie mit 40.133 USD und Kardiologie mit 33.847 USD am höchsten. In den Fachbereichen Geburtshilfe/Gynäkologie mit 7.161 USD und Geriatrie mit 6.105 USD am geringsten.

Diskussion: Die Höhe der finanziellen Zuwendungen vieler LGM ist erheblich und variiert stark zwischen den Fachbereichen. Der Vergleich der medianen und durchschnittlichen Zuwendungen deckt zudem eine schiefe Verteilung innerhalb und unter den Fachbereichen auf. Dies deutet darauf hin, dass vor allem einzelne Personen einen immens hohen Betrag an Zuwendungen erhalten haben. Die Zuwendungen sind oftmals nicht oder nicht transparent dargelegt. Dieses stellt die Objektivität von Leitlinien-Empfehlungen infrage.

Einige der Leitliniengruppen-Mitglieder konnten nicht in der Open Payments Datenbank gefunden werden. Mögliche Gründe dafür sind, dass diese nicht der amerikanischen Staatsbürgerschaft angehören oder nicht als Ärzte in der Gesundheitsversorgung tätig sind.

Praktische Implikationen: Eine ähnliche Analyse ließe sich nicht auf Deutschland übertragen, da finanzielle Zuwendungen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden dürfen.

Auf der einen Seite helfen die finanziellen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Industrie bei der medizinischen Forschung, auf der anderen Seite können sie aber auch zu Verzerrungen der Leitlinien führen. Das Augenmerk bei der Erstellung von Leitlinien sollte daher auf der Umsetzung klarer, einheitlicher Standards liegen und durch Richtlinien reguliert werden.