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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Barrieren und Umsetzungsstrategien einer Implementierung der S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ aus Sicht von Behandlern und Betroffenen

Meeting Abstract

  • Angela Buchholz - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg, Germany
  • Spies Maren - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg, Germany
  • Martin Härter - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg, Germany
  • Christina Lindemann - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), Hamburg, Germany; Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Hamburg, Germany
  • Bernd Schulte - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), Hamburg, Germany; Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Hamburg, Germany
  • Jens Reimer - Zentrum für Psychosoziale Medizin, Gesundheit Nord, Bremen, Germany
  • Uwe Verthein - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), Hamburg, Germany; Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Hamburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf062

doi: 10.3205/19dkvf062, urn:nbn:de:0183-19dkvf0620

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Buchholz et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Zur Förderung einer evidenzbasierten Versorgung von Personen mit alkoholbezogenen Störungen wurde im Jahr 2014 die S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ herausgegeben [1]. Die Entwicklung, Veröffentlichung und Disseminierung einer Leitlinie reichen jedoch nicht aus, damit die Empfehlungen im Versorgungsalltag umgesetzt werden. In der Literatur benannte Barrieren für die Umsetzung umfassen dabei Barrieren in Inhalten, Umfang und Darstellung von Leitlinien, Barrieren in der Versorgungsstruktur und Barrieren aufseiten potentieller Anwender (Behandler*innen) [2].

Fragestellung: Ziel dieser Studie war es, Barrieren und Umsetzungsstrategien für eine Implementierung der S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ aufseiten der Behandler*innen zu identifizieren und der Perspektive Betroffener gegenüber zu stellen.

Methode: Als Teil des vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts Implementierung und Evaluation der S3-Leitlinie zu Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen (IMPELA) wurden Barrieren und Umsetzungsstrategien der Leitlinienempfehlungen in einer zweistufigen Befragung für die Stadt Bremen als Modellregion erfasst. Sowohl Behandler*innen aus der allgemeinen Gesundheitsversorgung und der Suchthilfe als auch die Betroffenen wurden zunächst schriftlich befragt. Die Behandler*innen wurden gebeten, ihre Patient*innen zur Befragung einzuladen. Ergänzend wurde der Fragebogen online über an der Leitlinienentwicklung beteiligte Fachgesellschaften und Patientenorganisationen überregional verbreitet.

Ergebnisse: Es konnten Datensätze von 263 Behandler*innen einbezogen werden, davon kamen 163 (62%) aus der Modellregion Bremen und 100 (38%) Personen aus anderen Bundeländern. Sie waren im Durchschnitt 51,5 Jahre alt (SD = 10,7) und hatten 23,2 Jahre Berufserfahrung (SD = 10,4). Weiblich waren 147 (55,9%), der Großteil der Befragten waren Ärzte (n = 152; 57,8%). Auch wenn nur ein geringer Teil angab, die Leitlinie zu kennen (n = 93; 35,4%), wurden die Inhalte der Leitlinie insgesamt als bedeutsam für den eigenen Arbeitskontext eingeschätzt (Angaben für einzelne Kapitel variieren zwischen 35% und 69%). Fehlendes Wissen (n = 154; 58,6%), mangelnde Verbreitung der Leitlinie (n = 160; 60,8%) sowie fehlende Ressourcen (n = 163; 61,9%) wurden am häufigsten als Umsetzungsbarrieren benannt. Präferierte Umsetzungsstrategien waren die Entwicklung sog. fact sheets (n = 95; 36,1%), Information der Fachöffentlichkeit (n = 94; 35,7%), sowie Kitteltaschenversionen (n = 88; 33,4%).

Aus der Befragung Betroffener (57,7% männlich; Alter M= 44,7 Jahre; SD = 14,3) liegen auswertbare Datensätze von 94 Personen vor, die meisten davon aus Bremen (N = 84; 89%). Von diesen gaben 51 Personen an, bereits selber eine Suchtbehandlung in Anspruch genommen zu haben (54,3%). Als Schwierigkeiten für die Versorgung wurde am häufigsten benannt, dass Betroffene aus Angst vor Konsequenzen keine Hilfe suchen (n = 51; 54%), ihre Probleme nicht wahrhaben wollen (N = 49, 52,1%), sowie zu lange Wartezeiten auf Behandlungsplätze (n = 45; 47,8%). Verbesserungspotential sahen die Betroffenen v.a. in den Bereichen Screening („Ansprechen des Alkoholkonsums“; n = 44; 46,8%) und einem nahtlosen Übergang zwischen Behandlungen (n = 42; 44,6%).

Diskussion: Die fehlende Bekanntheit und Verbreitung der Leitlinie stellt aus Sicht der Behandler*innen die größte Barriere für eine Umsetzung von Leitlinienempfehlungen dar. Umsetzungsstrategien sollten sich am Bedarf der Behandler*innen in den unterschiedlichen Sektoren (allgemeine Gesundheitsversorgung, Suchthilfe) orientieren. Die Perspektive der Betroffenen betont die Bedeutung von Screening und einer guten Versorgungsorganisation.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse der Befragung werden im Rahmen des Gesamtprojekts IMPELA dazu verwendet, gemeinsam mit regionalen Kooperationspartner*innen konkrete Umsetzungsstrategien für eine Implementierung auszuwählen und modellhaft umzusetzen.


Literatur

1.
Mann K, Hoch E, Batra A, Hrsg. S3-Leitlinie Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen. Heidelberg: Springer; 2016. DOI: 10.1007/978-3-662-47086-2 Externer Link
2.
Fischer F, Lange K, Klose K, Greiner W, Kraemer A. Barriers and Strategies in Guideline Implementation – A Scoping Review. Healthcare (Basel). 2016 Jun 29;4(3). pii: E36. DOI: 10.3390/healthcare4030036 Externer Link