gms | German Medical Science

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Gesundheitskompetenz und gesundheitsbezogene Risikowahrnehmung – „Ich meine, es war ja Fakt, dass da irgendwas nicht mehr so ist, wie es sein sollte.“

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • Laura Harzheim - ceres - cologne center for ethics, rights, economics, and social sciences of health, Köln, Germany
  • Mariya Lorke - ceres - cologne center for ethics, rights, economics, and social sciences of health, Gesundheitskompetenz in komplexen Umwelten, Köln, Germany
  • Christiane Woopen - ceres - cologne center for ethics, rights, economics, and social sciences of health, Gesundheitskompetenz in komplexen Umwelten, Köln, Germany
  • Saskia Jünger - ceres - cologne center for ethics, rights, economics, and social sciences of health, Gesundheitskompetenz in komplexen Umwelten, Köln, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf056

doi: 10.3205/19dkvf056, urn:nbn:de:0183-19dkvf0562

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Harzheim et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Der medizinisch-technische Fortschritt im Bereich der prädiktiven Gesundheitsversorgung ermöglicht nicht nur die Früherkennung von Krankheiten, sondern auch von gesundheitsbezogenen Risiken zu einem immer früheren Zeitpunkt. Die Betroffenen sind dabei in besonderem Maße gefordert, Gesundheitsinformationen zu verstehen, kritisch zu verarbeiten und im Sinne der eigenen Gesundheit zukunftsorientiert umzusetzen. Dies bringt zum einen Herausforderungen für Professionelle des Gesundheitswesens mit sich, wie beispielsweise bei der Aufklärung und Beratung von Patienten und Patientinnen hinsichtlich frühdiagnostischer oder präventiver Maßnahmen. Zum anderen bedeutet ein medizinisch diagnostiziertes erhöhtes Krankheitsrisiko für die Betroffene die emotionale Auseinandersetzung mit einer neuen, identitätsrelevanten Rolle als „Risiko-Person“. Das diesem Abstract zugrundeliegende Forschungsprojekt untersucht die Gesundheitskompetenz von Risikopersonen in den drei exemplarischen klinischen Feldern der Onkologie, Psychiatrie und Neuro-Psychiatrie aus Sicht der Betroffenen. Auf diese Weise werden Einblicke in das Zusammenspiel zwischen Gesundheit, Lebensqualität und Resilienz ermöglicht.

Fragestellung: Ziel der vorliegenden Studie ist es, zu untersuchen, welche indikationsspezifischen Faktoren in der Wahrnehmung von und im Umgang mit Gesundheitsrisiken von Relevanz für die Betroffenen sind und welche Implikationen sich hieraus für die Gesundheitsversorgung ergeben. Risikoperzeption, Krankheitstheorien sowie präventionsbezogene Entscheidungsfindungsprozesse von Personen mit einem erhöhten Krankheitsrisiko stehen hierbei im Fokus. Die zentrale Frage des Beitrags lautet, welche Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten im Rahmen der drei Indikationsgebiete aufgezeigt werden und wie sich diese in den wissenschaftlichen Diskurs zur Gesundheitskompetenz einordnen lassen können.

Methode: Im Rahmen eines qualitativen Studiendesigns wurden insgesamt 30 explorative, narrative Interviews mit Personen geführt, die aufgrund eines konkreten Erkrankungsrisikos in den Bereichen Alzheimer Demenz, Psychose und Familiärer Brust- und Eierstockkrebs in Früherkennungsprogramme aufgenommen wurden. In Ergänzung zu den Interviews wurde mittels Bodymapping das verkörperte („embodied“) Risikoempfinden der Personen grafisch bzw. bildlich erhoben. Zusätzlich wurde mithilfe eines Selbstreflexions-Tools und mittels Notizen der Forschungsprozess reflektiert und die dadurch gewonnenen Daten in die Analyse einbezogen. Das Datenmaterial aus diesen drei Hauptquellen wurde in Anlehnung an die (Reflexive-) Grounded Theory Methodologie analysiert.

Ergebnisse: Erste Ergebnisse der Datenanalyse erlauben die Formulierung zentraler Kategorien zu Krankheitstheorien, Risikowahrnehmung und Umgangsstrategien Betroffener. Dabei wird deutlich, dass persönliche und von autobiografischen, sozialen und gesellschaftlichen Einflüssen geprägte Krankheitsvorstellungen das Risikoempfinden sowie die Aushandlungs- und Entscheidungsfindungsprozesse hinsichtlich präventiver oder gesundheitsfördernder Maßnahmen maßgeblich mitbestimmen. Die Gesundheitskompetenz im Kontext des Risikos, an einer Krankheit zu erkranken, stellt sich in den Narrativen der Interviewpartner*innen als eine Art regulatives Warnsystem dar, das eng mit deren individuellen Vorstellungen von Lebensqualität und Resilienz verknüpft ist. Sowohl konkrete indikationsspezifische als auch generelle, bereichsübergreifende Aspekte der Gesundheitskompetenz werden beleuchtet, was neue Einblicke in diesen Themenbereich gestattet.

Diskussion: Die Ergebnisse dieser Studie sollen dazu beitragen, Entscheidungsfindungsprozesse von Menschen mit einem erhöhten Krankheitsrisiko hinsichtlich der Inanspruchnahme frühdiagnostischer Verfahren und präventiver Interventionen nachzuvollziehen, theoretische Modelle der Risikokommunikation sowie des Gesundheitsverhaltens vor diesem Hintergrund zu reflektieren und das Konzept der Gesundheitskompetenz theoretisch zu fundieren. Der Fokus liegt dabei auf subjektiven Risiko- und Krankheitstheorien sowie auf analytisch-reflexiven und emotional-intuitiven Interpretationssystemen.

Praktische Implikationen: Auf Grundlage der Studienergebnisse soll perspektivisch ein modulares Instrumentarium entwickelt werden, mittels dessen die Gesundheitskompetenz von Risikopersonen kontextsensitiv erhoben und gezielt gefördert werden kann. Damit soll dem Anspruch einer präferenzsensitiven Entscheidungsfindung in Bezug auf Präventionsmaßnahmen im Kontext der Risikoprädiktion Rechnung getragen werden.

Förderung: Das Projekt wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.