gms | German Medical Science

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Chronische Kreuzschmerzen – eine Cost-Effectiveness Analyse zu Kosten und Nutzwert der Kreuzschmerzbehandlung durch Physiotherapie und Akupunktur

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • Heinz G. Endres - aQua Institut, Patientensicherheit und Arzneimittel, Göttingen, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf051

doi: 10.3205/19dkvf051, urn:nbn:de:0183-19dkvf0513

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Endres.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund und Fragestellung: Die 1-Jahres-Prävalenz (ab 18) von chronischen Rückenschmerzen (chronic low back pain, cLBP), also Schmerzen, die mit wechselnder Intensität länger als 12 Wochen anhalten, beträgt 21% (RKI 2015). Patienten mit unspezifischem cLBP erhalten neben Physiotherapie oft auch eine von vielen Patienten gewünschte Akupunktur. Einige randomisiert kontrollierte Studien (RCTs), mit direktem Vergleich zwischen Akupunktur und Physiotherapie, bewirkten aufgrund positiver Studienergebnisse, dass Akupunktur bei cLBP Kassenleistung wurde. Die größte dieser RCTs (gerac) ermöglicht anhand der publizierten Daten eine Cost-Effectiveness Analyse (Kostenwirksamkeits-Analyse) zu Wirksamkeit und Kosteneffektivität der beiden Therapiealternativen.

Methode: Der Therapieerfolg wurde mittels des Funktionsfragebogens Hannover Rücken (HFAQ) erhoben, der den Grad der schmerzbedingten Behinderung von Alltagsaktivitäten auf einer Skala von 0-100% (volle, unbehinderte Funktionsfähigkeit) erfasst. Die auf Rückenschmerz bezogenen QALYs (quality adjusted life years) wurden aus dem Unterschied des zeitlichen Verlaufs der HFAQ-Änderungen berechnet (Salomon 2017; Richardson et al. 2004). Ein Lebensjahr mit perfekter Gesundheit (ein QALY) entspräche einem HFAQ von 100%. Die ökonomische Analyse umfasst ein Jahr, mit je einem Behandlungszyklus pro Quartal. Die Analyse berücksichtigte die cLBP-spezifischen Behandlungskosten pro Quartal, entsprechend den Angaben in der Studie. Die Berechnungen basieren auf einem Markov-Modell. Jeder Patient im Modell kann sich innerhalb eines Markov-Zyklus (Quartal) nur in einem Gesundheitszustand aufhalten, (weiterhin) Schmerzen oder Behandlungserfolg oder Verstorben (absorbierender Zustand). Alle Änderungen des Gesundheitszustandes von einem Zyklus zum nächsten wurden als Übergänge mit entsprechenden Übergangswahrscheinlichkeiten modelliert. Jede Übergangswahrscheinlichkeit beruht auf den Wahrscheinlichkeitsverteilungen der zugrundeliegenden Merkmale (z.B. Wahrscheinlichkeit des Therapieerfolges), basierend auf den Angaben in der Studie oder allgemein zugänglichen Populationsstatistiken (destatis). Für die Analyse wurden Monte Carlo Simulationsberechnungen mit jeweils 1000 Patienten pro Studie und insgesamt 100 simulierten Studien durchgeführt. Eine Zielgröße war das inkrementelle Cost-Effectiveness-Ratio (ICER), die Mehrkosten zur Verbesserung des Gesundheitszustandes eines Patienten im Vergleich zur Alternativtherapie. Bei einer linearen Beziehung zwischen Gesundheitszuwachs und wachsenden Therapiekosten ist das ICER gleichbedeutend mit der Geradensteigung, also der Kostensteigerung pro zusätzlich gewonnenen QALY.

Ergebnisse: Von den cLBP-Patienten (18-86 Jahre) erhielten 387 Verumakupunktur und 388 Physiotherapie, jeweils zehn 30-minütige Sitzungen innerhalb von 6 Wochen (Haake et al. 2007). Der mittlere HFAQ-Wert verbesserte sich zwischen Baseline und 3 Monaten von 46,3% auf 65,4% (Akupunktur) und von 46,7% auf 56% (Physiotherapie). Akupunktur war zu allen Messzeitpunkten erfolgreicher. Allerdings waren auch die Kosten pro Quartal für Akupunktur (557 €) höher als für Physiotherapie (372 €). Die Simulationsberechnungen über ein Behandlungsjahr (vier Zyklen) ergaben einen ICER von rund 3.900 €. Dieser Betrag kann auch als unterste Willingness to Pay (WTP) Grenze gesehen werden, um ein zusätzliches QALY zu erreichen. Eine two-way Sensitivitäts-Analyse, mit Änderungen in den Übergangswahrscheinlichkeiten für erneute Rückenschmerzen oder Therapie-Erfolgsraten, führte nicht zu einer Änderung der Therapiepräferenzen.

Diskussion: Patienten mit cLBP schnitten in der Akupunkturgruppe zwar signifikant besser ab, aber bei deutlich höheren Kosten. Das zeigt sich an den 3.900 € (ICER) die nötig sind, um ein zusätzliches QALY durch den Therapiewechsel von Physiotherapie zu Akupunktur zu gewinnen. Es ist fraglich, ob für cLBP eine WTP von fast 4.000 € akzeptiert werden würde, auch wenn in der Literatur häufig die vom NICE 2004 erwähnte, aber nicht allgemein akzeptierte WTP-Obergrenze von 20.000 £ pro QALY genannt wird (NICE 2016). Limitierend bei ökonomischen Berechnungen mittels Markov-Modellen ist, dass nicht alle Faktoren, die für Übergangswahrscheinlichkeiten von Gesundheitszuständen von Bedeutung sind (z.B. Lebensstiländerungen), berücksichtigt werden können, und dass ein Zeitfenster von einem Jahr keine Rückschlüsse auf längerfristig angelegte Behandlungsstrategien zulässt.

Praktische Implikation: Die Ergebnisse aus RCTs müssen grundsätzlich vorsichtig interpretiert werden. Ein signifikant besseres Behandlungsergebnis durch eine Therapie bedeutet nicht, dass die unterlegene Therapiealternative keine Behandlungserfolge zeigt. Das signifikant bessere Abschneiden bedeutet nur, dass die überlegene Therapie die Chance anbietet, einen zusätzlichen Gesundheitsgewinn zu erhalten, der allerdings auch mit Zusatzkosten verbunden ist, die vom Individuum oder der Gesellschaft (WTP-Grenze) getragen werden müssen.