gms | German Medical Science

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Bewertung einer komplexen Intervention zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch Patienten und Hausärzte

Meeting Abstract

  • Iris Tinsel - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg., Lehrbereich Allgemeinmedizin / Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA), Freiburg, Germany
  • Andy Maun - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Lehrbereich Allgemeinmedizin,, Freiburg, Germany
  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA), Freiburg, Germany
  • Wilhelm Niebling - Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Lehrbereich Allgemeinmedizin, Freiburg, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf037

doi: 10.3205/19dkvf037, urn:nbn:de:0183-19dkvf0372

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Tinsel et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Im Rahmen einer zweiarmigen randomisiert-kontrollierten Pilotstudie wurde eine komplexe Intervention zur Unterstützung von Lebensstiländerungen in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen getestet. Die Intervention verbindet a) die Anwendung des Herz-Kreislauf-Risiko (CVR) Rechners „arriba“ mit b) strukturierten hausärztlichen Folgeberatungen und c) darauf abgestimmten Patientenmaterialien (Broschüren mit evidenzbasierte Gesundheitsinformationen, Entscheidungs- und Handlungshilfen, Protokollmöglichkeiten). In der Pilotstudie erhielten alle Patienten der Interventionsgruppe (IG) und der Kontrollgruppe (KG) vier Folgeberatungen; Start: CVR-Berechnung mit „arriba“, Woche 1: Zielvereinbarungen, Woche 5: Besprechung von Erfolgen/Misserfolgen, Woche 16: Abschlussberatung inkl. CVR-Berechnung. Die Patienten der IG erhielten zusätzlich die o.g. Broschüren. Die quantitativen Analysen zeigten, dass der Einsatz der Broschüren in der IG einen signifikant positiven Effekt auf die „Patientenaktivierung“ (PAM-13) erzielte, dass die CVR-Faktoren reduziert und der Gesundheitszustand verbessert wurde (n.s.). Die quantitativen Ergebnisse wurden publiziert. Zusätzlich zu der Überprüfung der Effekte wurde eine formative Evaluation durchgeführt, deren Ergebnisse auf dem Kongress vorgestellt werden sollen.

Fragestellung: Wurde die Intervention von Patienten akzeptiert und war sie in der hausärztlichen Routineversorgung umsetzbar?

Wie bewerten Patienten und HÄ die strukturierten Folgeberatungen und die Broschüren? Inwiefern motivieren die Broschüren, das Gesundheitsverhalten längerfristig im Blick zu behalten?

Methode: Zur Klärung der o.g. Fragen wurden nach Abschluss der Intervention qualitative und quantitative Daten erhoben. HÄ wurden in leitfadengestützten Telefoninterviews befragt. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet und transkribiert. Die Daten der Patienten stammen aus der Fragebogenerhebung nach Ende der Intervention. Patienten der IG und KG erhielten 6 standardisierte Fragen zur Zufriedenheit mit den Folgeberatungen. Patienten der IG bewerteten zudem in neun offenen Fragen die Broschüren. Die Einträge wurden in Textdokumente übertragen. Alle Textmaterialien wurden unter Verwendung der Software MAXQDA, nach deduktiven und induktiven Kategorien codiert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Aussagen der Patienten wurden entsprechend ihrer Codierung zusätzlich quantitativ analysiert. Die statistische Auswertung erfolgte mit der Software SPSS.

Ergebnisse: In die Studie wurden insgesamt 87 Patienten eingeschlossen, die Abbruchquote war mit 9.2% (n=8) gering. Qualitative Daten liegen von allen 6 HÄ und von 34 Patienten der IG vor (einige Patienten beantworteten nicht alle offenen Fragen).

Nach Aussagen der HÄ reagierten die meisten Patienten positiv auf die Studieninformation. Die HÄ bewerteten die Folgeberatungen für die Patienten und für sich selbst als vorteilhaft. Die mittlere Zufriedenheit der Patienten mit den Beratungen (Skala: 1=sehr zufrieden bis 4=sehr unzufrieden) war hoch (IG=1,4 (±0,4), KG=1,5 (±0,8). Die Patienten der IG bewerteten die Broschüren positiv: sie äußerten eine hohe Zufriedenheit bzgl. der Verständlichkeit der Informationen (100%), der Gestaltung (97%), des Aufbaus und der Übersichtlichkeit (86%) sowie der Motivation (88%). Global bewerteten 83% der Patienten der IG die Broschüren als positiv. Eine HÄ teilte mit, dass einige Patienten anfangs kritisch auf die Broschüren reagierten, da sie das Gefühl hatten, kontrolliert zu werden. Dagegen scheint die Betonung der Eigenverantwortlichkeit positive Auswirkungen gezeigt zu haben. Die meisten HÄ waren der Meinung, dass die Patientenmaterialien hilfreich für die Patienten und die Folgeberatungen waren, dass aber die Unterschiede in der Patientenaktivierung eher auf die Patienteneigenschaften zurückzuführen waren, als auf die Bereitstellung der Broschüren.

Diskussion: Die Akzeptanz, Umsetzbarkeit und Zufriedenheit mit der komplexen Intervention waren hoch. Die HÄ schätzten den Effekt der Broschüren auf die Patientenaktivierung geringer ein, als dies in den Ergebnissen der statistischen Analysen der Patientendaten sichtbar wurde. Die HÄ zeigten sich skeptischer bzgl. der Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und Nutzung der Materialien durch die Patienten, als die Patienten selbst. Bei der Gegenüberstellung der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass die Aussagen durch Faktoren wie soziale Erwünschtheit, Vorerfahrungen, berufspolitische oder andere persönliche Einstellungen beeinflusst werden können.

Praktische Implikationen: Die Pilotstudie zeigte, dass eine strukturierte CVR-Beratung mit darauf abgestimmten Patientenmaterialien durchführbar ist; die Akzeptanz und Zufriedenheit waren hoch. In einer geplanten, größeren Studie werden die HÄ stärker auf die Vorteile der partizipativen Entscheidungsfindung und eigenverantwortlichen Nutzung der Materialien hingewiesen.