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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Neues Organisationsmodell in der ambulanten Primärversorgung – Evaluation nach dem Triple- bzw. Quadruple-Aim-Ansatz

Meeting Abstract

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  • Nina Altmann - Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin Universität Witten/Herdecke, Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung (IGVF), Witten, Germany
  • Lena Werdecker - Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin Universität Witten/Herdecke, Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung (IGVF), Witten, Germany
  • Tobias Esch - Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin Universität Witten/Herdecke, Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung (IGVF), Witten, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf036

doi: 10.3205/19dkvf036, urn:nbn:de:0183-19dkvf0360

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Altmann et al.
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Gliederung

Text

Selbstmanagement von Patienten gewinnt im Rahmen der Behandlung chronischer Erkrankungen zunehmend an Bedeutung. In vielen europäischen Ländern wird die Förderung des Selbstmanagements zwar als bedeutsames Ziel identifiziert, es mangelt jedoch oftmals an konkreten Ansätzen der Umsetzung und Evaluation. Dem wird mit der Eröffnung der Universitätsambulanz für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde (UnIG) am Standort Witten/Herdecke Rechnung getragen, indem dieses Pilotprojekt ein bundesweit neues Organisationsmodell in der ambulanten Primärversorgung erprobt und evaluiert. Die Förderung des Selbstmanagements soll durch eine integrative Behandlung in einem multiprofessionellen Team erreicht werden. Diese Behandlungsform basiert auf einer Kombination aus moderner Diagnostik, leitlinienbasierter Therapie, Naturheilverfahren sowie Mind-Body-Medizin, unter Einbindung einer elektronischen Patientenakte (ePA) inkl. Zugang zur ärztlichen Dokumentation für Patienten (Gesundheitsportal), entsprechend dem OpenNotes-Konzept aus den USA. Neben der Kombination verschiedener Behandlungsformen werden in der UnIG über die Regelversorgung hinausgehende Berufsgruppen (Case-Manager, Therapeuten für Gesundheitsförderung, Sozialkoordination durch Medizinische Fachangestellte) etabliert. Die Integration eines gesundheitsfördernden Lebensstils in den Alltag des Patienten wird durch Gruppenangebote in den Bereichen Stress, Bewegung, kognitives Verhaltenstraining, Entspannung und Ernährung (BERN-Konzept) unterstützt.

Welchen Mehrwert bringt dieses neue Organisationsmodell in der Primärversorgung für a) die Gesundheit und b) Zufriedenheit der Patienten sowie c) der Leistungserbringer (Mitarbeiter) mit sich und d) welche Vorteile bietet es für die Kostenträger?

Das Evaluationskonzept orientiert sich am Triple- bzw. Quadruple-Aim-Ansatz und umfasst sowohl Prozess- als auch Ergebnisevaluation. Im Rahmen der Prozessevaluation wird die Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit über jährliche standardisierte Befragungen innerhalb des internen Qualitätsmanagements erhoben, um die Versorgung kontinuierlich zu verbessern. Hierbei wird auf Stichprobenziehungen zurückgegriffen. Für die Ergebnisevaluation sollen der Gesundheitszustand und die Versorgungsqualität der Patienten u. a. über den subjektiven Gesundheitszustand und über die ambulant-sensitiven Krankenhausfälle gemessen werden. Die gesundheitsökonomische Evaluation greift u. a. auf Kosten-Wirksamkeitsanalysen zurück. Patientenbefragungen und das Praxisinformationssystem ermöglichen den Zugriff auf die benötigten Daten. Diese sollen um externe Daten (Routinedaten der Krankenkassen, z. B. AU) ergänzt werden. Daneben werden die verschiedenen Bausteine des Ambulanz-Konzeptes evaluiert. Dazu gehören die Evaluation der Gesundheitsförderungskurse sowie die Untersuchung der Akzeptanz und der Nutzung des Gesundheitsportals. Beide Analysen werden als Vollerhebung mit Vorher-Nachher-Messung angestrebt. Erhebungsinstrumente für die Gesundheitsförderungskurse sind der SF-12 (Wohlbefinden und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität), der PSS-10 (wahrgenommener Stress) und der FFA-14 (Achtsamkeit). Um Akzeptanz und Nutzung des Gesundheitsportals zu evaluieren, werden die Original-Erhebungsinstrumente aus dem US-amerikanischen OpenNotes-Projekt verwendet. Diese werden ins Deutsche übersetzt und an die hiesigen Rahmenbedingungen angepasst. Parallel werden semistrukturierte Leitfaden-Interviews mit Patienten und Mitarbeitern geführt und Nutzerdaten gesammelt. Den Patienten stehen die Fragebögen sowohl elektronisch als auch in Papierform zur Verfügung.

Erwartet werden u. a. eine Verbesserung des Gesundheitszustands, eine Steigerung der Versorgungsqualität durch die Behandlung in der UnIG und eine Senkung/Ersparnis für die Kostenträger. Weiter wird erwartet, dass die Gesundheitsförderungskurse die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten erhöhen, die Achtsamkeit steigern und den wahrgenommenen Stress senken. Der Einsatz des Gesundheitsportals soll die Patientenaktivierung und Arzt-Patienten-Interaktion fördern. Verlauf von Implementierung und Weiterentwicklung des Patientenportals werden zu einem beispielgebenden Erfahrungsbericht aufbereitet.

Aufgrund der geringen Fallzahl werden primär Vollerhebungen angestrebt. Der Einsatz von Kontrollgruppenverfahren ist angedacht. Das Projekt ist regional begrenzt und vor allem auf Patienten mit chronischen Erkrankungen ausgerichtet. Die Patienten können langfristig begleitet werden.

Die Evaluation eines innovativen Versorgungsmodells erfordert einen mixed-methods-Ansatz, in dem Prozess- und Ergebnisevaluation eng miteinander verknüpft sind. Neben der methodischen Vielfalt sind das Einbeziehen und die Zusammenarbeit sowohl mit Patienten als auch verschiedenen Fachdisziplinen (u. a. Praxismitarbeiter, Medizin, Pflegewissenschaft, Gesundheitswissenschaften, Gesundheitsökonomie, Sozialwissenschaften, Statistik, Informatik) unerlässlich.