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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Entwicklung eines effizienten Prognosemodells zur Identifikation potenzieller Teilnehmer eines Disease Management Programms Hypertonie

Meeting Abstract

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  • Pamela Lenti - Uniklinik Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie, Köln, Germany
  • Stefan Kottmair - Dr. med. Stefan Kottmair - Projekte im Gesundheitsmanagement, Versorgungsmanagement, Ebenhausen, Germany
  • Stephanie Stock - Uniklinik Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie, Köln, Germany
  • Dirk Müller - Uniklinik Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie, Köln, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf020

doi: 10.3205/19dkvf020, urn:nbn:de:0183-19dkvf0202

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Lenti et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Ausgehend von der Prämisse nur begrenzt zur Verfügung stehender Ressourcen im Gesundheitswesen, stehen Krankenversicherungen vor der Herausforderung einer effizienten und gerechten Gestaltung von begründeten Allokationsentscheidungen. Am Beispiel der Hypertonie zeigt sich, dass mithilfe von strukturierten Präventions- und Behandlungsprogrammen krankheitsfördernde Blutdruckwerte gut kontrolliert und lebensgefährliche Folgeschäden vermieden werden können. Doch dabei soll das vorrangige Ziel verfolgt werden, Mitglieder mit der höchsten versorgungstechnischen Relevanz auszuwählen, um entsprechende Versorgungsangebote wie Disease Management Programme (DMP) auf Hochrisikogruppen auszurichten.

Fragestellung: Erlaubt die prädiktive Modellierung mithilfe von Routineleistungsdaten eine effiziente Identifikation von DMP-Kandidaten mit höchstem Interventions- und Einsparpotenzial?

Methode: Unter Anwendung eines Prognosemodells wird das Risiko für zukünftige stationäre Krankenhausaufenthalte auf der Grundlage von Routinedaten einer privaten Krankenversicherung geschätzt. Die Datenbasis bilden anonymisierte Leistungsdaten einer Kohorte von 38.284 Versicherten, die zum Stichjahr 2013 eine gesicherte Diagnose Hypertonie aufweisen. Für diese Kohorte wurden abgestimmte annualisierte Routinedaten der Jahre 2012 bis 2016 extrahiert. Die Risikoabschätzung für die Zielvariable ‚Hospitalisierung‘ erfolgt in einem schrittweise logistischen Regressionsmodell unter Berücksichtigung von a-priori identifizierten Einflussfaktoren. Diese werden mithilfe von statistischen Dimensionsreduktionsverfahren und einer multivariaten Filtermethode zur weiteren Analyse selektiert. Prädikatoren mit höchstem Vorhersagewert für zukünftige Hospitalisierungen werden anschließend mit ihren Gewichten zu einer Prognoseformel zusammengefügt.

Das Modell wird mithilfe der Split-Sample-Validierungstechnik in einer 70-prozentigen Zufallsstich-probe (n = 24.254) des gesamten Datensatzes mittels Trainingsalgorithmen erzeugt und anschließend an einer vom Modellierungsprozess unbeteiligten Stichprobenmenge (30 %) auf Richtigkeit (Validität) überprüft. Zur Beurteilung der Vorhersagegüte werden statistische Gütekriterien wie das Pseudo-R2, die Trefferquote, die Sensitivität, die Spezifität, der positive prädiktive Wert (PPW) und die ROC-Kurve unter Angabe des AUC-Wertes verwendet.

Ergebnisse: Insgesamt zeigt das finale Modell eine gute Prognosefähigkeit mit einer Sensitivität von 68,7 %, einem Pseudo-R-Quadrat (Nagelkerkes) von 21 % und einem PPW von 64 %. Die AUC liegt mit einem Wert von 0,72 innerhalb des statistisch akzeptablen Diskriminierungsbereichs. Im Ergebnis weist das Modell jedem Versicherten individuelle Wahrscheinlichkeiten zu, in den nächsten drei Jahren stationär aufgenommen zu werden. In einem Vergleich zwischen einer hypothetisch gebildeten DMP-Interventionsgruppe (Hospitalisierungswahrscheinlichkeit ≥ 70 %) und der restlichen Kohorte (Hospitalisierungswahrscheinlichkeit < 70 %) zeigen sich relevante Unterschiede in dem Komorbiditätsprofil, in der zukünftigen Leistungsinanspruchnahme und Polymedikation sowie in den Gesundheitsausgaben zwischen den beiden Gruppen.

Diskussion: Eine wesentliche Herausforderung für ein langfristig gut funktionierendes Prädiktionsmodell stellt die zeitliche Stabilität der errechneten Gewichte dar. Ein weiterer Diskussionspunkt besteht in den inhärenten Einschränkungen von Routinedaten einer Krankenversicherung, da sie ursprünglich lediglich für finanzielle Abrechnungszwecke konzipiert waren. Zudem ist zu beachten, dass die identifizierten Kandidaten mit hohem Hospitalisierungsrisiko nicht gleich geeignete Kandidaten eines DMP sind, da die Beeinflussung von krankmachenden Risikofaktoren das eigentliche Schlüsselelement von Präventionsangeboten darstellt.

Praktische Implikationen: Unter Zuhilfenahme prädiktiver analytischer Ansätze kann das Versorgungsmanagement einer Krankenversicherung neben einer effizienten Selektion von potenziellen DMP-Teilnehmern auf unterschiedliche Krankheitsintensitäten reagieren, Risiken proaktiv steuern und die inhaltlichen Komponenten eines DMPs patientenzentriert gestalten. Mit einer zielgerichteten Allokation der knappen finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen können schließlich Effizienzreserven realisiert bzw. Streuverluste vermieden und gleichzeitig die Versorgungsqualität verbessert werden.