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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Pflegeberatung im Fokus – Zu Typen und Wirksamkeit pflegeberaterischen Handelns im Gesundheitswesen

Meeting Abstract

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  • Sabrina Khamo Vazirabad - Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt, Germany
  • Andre Terjung - Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt am Main, Germany
  • Ulrike Schulze - Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt am Main, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP189

doi: 10.3205/17dkvf322, urn:nbn:de:0183-17dkvf3224

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Vazirabad et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „OPEN – Interkulturelle Öffnung in der Pflegeberatung“ fokussiert die Entwicklung, Erprobung und wissenschaftliche Evaluation sozialraumspezifischer Ansätze der Pflegeberatung, in Verbindung mit einer Hilfs- und Unterstützungsplanung, die sich an Case Management Grundlagen anlehnt. Dabei geht um eine netzwerkanalytisch begründete Verbesserung der Kooperation von Professionellen in der Pflegeberatung und um die Entwicklung von spezifischen Beratungsansätzen. Ziel ist es, eine barrierearme sowie sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegeversorgung für lebenserfahrene insbesondere zugewanderte Menschen zu gewährleisten.

Der vorliegende Beitrag führt die bereits veröffentlichten Ergebnisse zur Diversität in der Pflegeberatung (Khamo et al. 2016; Terjung et al. 2016) fort. Das von Fritz Schütze beschriebene Phänomen der `Paradoxie des professionellen Handelns‘ (2000) wurde in einer ersten Datenanalyse des hier vorgestellten Forschungsprojektes an das Setting ‚Pflegeberatung‘ angepasst, weiterführend untersucht und bereits von May (2017) publiziert. Die so entwickelten OPEN- Paradoxien beschreiben zwei sich gegenüber und in Konflikt zueinanderstehende, aber für sich legitime Grundsätze der Beratung sowie die hieraus resultierenden Spannungsfelder.

Darauf aufbauend werden im Projekt entwickelte und erprobte Inhalte von Qualifizierungsbausteinen für Pflegeberater_innen zur Weiterentwicklung ihres Selbstverständnisses im Gesundheitssystem bzw. zur Erweiterung ihrer Beratungsexpertise vorgestellt und diskutiert.

Fragestellung: Die Forschungsfragen „Welche Beratertypen lassen sich aus dem Material identifizieren?“ und „Welche verallgemeinerbare Handlungsweisen im Umgang mit den Paradoxien lassen sich in der Pflegeberatung abbilden?“ wurden an die vorliegenden Daten gerichtet und mit den Berater_innen formativ evaluiert.

Methode: Das der Grounded Theory folgende Projekt fand den Zugang zur Pflegeberatung mittels einer Kooperation zu neun Pflegeberatungsstellen in Hessen und in Rheinland-Pfalz. Zur Abbildung der Beratungsinhalte wurden zunächst die Gespräche aufgezeichnet. Diesbezüglich fanden im Anschluss teilstrukturierte Leitfadeninterviews mit den Ratsuchenden bzw. den Berater_innen statt. Methodisch angelehnt an Bohnsack (2007) konnten fünf Beratertypen beschrieben werden, die in mehreren Analyseverfahren in ihren Merkmalen verdichtet wurden. Im Sinne der formativen Evaluation wurden in Rückkopplungsgesprächen die Analyseergebnisse zwischen Forscher_innen und Berater_innen diskutiert und somit kommunikativ validiert, so dass die Ergebnisse methodisch-didaktisch transformiert werden konnten.

Ergebnisse: Die Beratungstypen strukturieren ihr beraterisches Handeln an idealtypischen Orientierungsrahmen. Der erste Beratungstypus orientiert sich an den Vorgaben des Gesetzes und zielt hauptsächlich darauf ab, dem Ratsuchenden zu seinen Leistungsansprüchen zu verhelfen. Ein weiterer Typus richtet sich durch Zuhören und Nachfragen an die Person bzw. an den fallspezifischen Lebensverhältnissen aus, um den Ratsuchenden möglichst passende Hilfeangebote vorstellen zu können. Der dritte Typus hat eine zeitliche Strukturierung, indem er mehrere Orientierungsnahmen bewusst nacheinander platziert. Ein vierter Beratungstypus hat einen deutenden Beratungsansatz, der sich an dem eigenen Fachwissen und Einschätzung der Beratungssituation orientiert. Einen gemeinsamen Diskurs auf der Suche nach individuellen Lösungen sucht der fünfte Idealtypus.

In der Empirie ließ sich zeigen, dass Berater_innen situationsspezifisch ihren Orientierungsrahmen wechseln und sich an die Individualität des Ratsuchenden anpassen konnten. Es wurde abgebildet, wie die Beratungstypen die verschiedenen Spannungsfelder der Paradoxien auflösen bzw. wie sie die einzelnen Polen gewichten.

Diskussion: Zur Diskussion steht, welche Aufgabe und Rolle politisch, institutionell von den hier untersuchten Professionellen erwartet wird und wie eine adäquate Qualifizierung hierfür gewährleistet werden kann. Welche Chancen sich in diesem Berufsfeld künftig abzeichnen und welche Desiderate sich hieraus für die Versorgungsforschung ergeben, gilt es zu erörtern.

Praktische Implikationen: Die Grenzen der eigenen Beratungstätigkeit nicht klar reflektieren zu können führt, laut der Datenanalyse, bestätigt durch die formative Evaluation, tendenziell zu Unsicherheit, Kompetenzüberschreitung oder zur Ausblendung einzelner Hilfebedarfe der Ratsuchenden. Die im Projekt generierten Beratungskonzepte und deren Übersetzung in Qualifizierungsmodule bieten der Pflegeberatung die Möglichkeit, fallspezifisch und situativ den Beratungstyp zu wechseln oder die Ratsuchenden an Kollegen oder fachübergreifend an Experten weiterzuvermitteln. Ergänzend durch Lehrempfehlungen sollen im Sinne der Nachhaltigkeit die Ergebnisse in verschiedene Pflegeberatungsfort- und -weiterbildungen einfließen.