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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Nutzung von Routinedaten aus Notaufnahmen: Herausforderungen für die Versorgungsforschung

Meeting Abstract

  • Felix Greiner - Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Germany
  • Saskia E. Drösler - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Germany
  • Anna Slagman - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Germany
  • Christoph Stallmann - Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Germany
  • Stefanie March - Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Germany
  • Johannes Pollmanns - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Germany
  • Dominik Brammen - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Magdeburg, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP022

doi: 10.3205/17dkvf284, urn:nbn:de:0183-17dkvf2843

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Greiner et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In den letzten Jahren haben sich Sekundärdatenanalysen in der Versorgungsforschung als eigener Forschungszweig etabliert. Die dafür genutzten Routinedaten werden in der Regel bei der Abrechnung von Leistungserbringern mit den Kostenträgern erfasst. Die meisten Patienten in der Krankenhaus-Notaufnahme werden im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) behandelt und stationär mit den Krankenkassen oder ambulant mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) abgerechnet. Weitere Kostenträger sind die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) und die private Krankenversicherung (PKV). Die einzelnen Abrechnungsverfahren stellen auf Basis der deutschen Version der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10-GM) eigene Anforderungen an die Diagnosekodierung. Die Schnittstellenfunktion von Notaufnahmen zwischen ambulantem und stationärem Sektor sowie verschiedene abrechnungstechnische Zuständigkeiten bedingen die Existenz verschiedener Datenhalter. Diese Umstände führen zur erschwerten Beantwortung von versorgungsepidemiologischen Fragenstellungen im Bereich der Notaufnahmen.

Fragestellung: Ziel ist eine Gegenüberstellung der Anforderungen von nach ICD-10-GM kodierten Diagnosen, die im Rahmen der Versorgung in Notaufnahmen obligatorisch erfasst werden. Diese könnten für die Versorgungsforschung genutzt werden. Sekundäres Ziel ist die Beantwortung der Frage, ob aus Sicht der Datenhalter die Versorgung eines Patienten in einer Notaufnahme fallbezogen zu identifizieren ist.

Methode: Vergleich der Anforderungen zur Datenerhebung und -übermittlung in den verschiedenen Sektoren.

Ergebnisse: Bei ambulant behandelten Patienten ist bei Abrechnung mit den KVen mindestens eine nach ICD-10-GM kodierte Diagnose zu erfassen. Die Angabe eines von vier Zusatzkennzeichen zur Diagnosesicherheit ist obligatorisch (V: Verdacht, G: gesichert, A: ausgeschlossen, Z: Zustand nach). Bei Vorliegen mehrerer Diagnosen werden diese gleichwertig übermittelt. Das trifft auch bei ambulanten Behandlungen im Rahmen der GUV zu, hier ist die Angabe von Zusatzkennzeichen allerdings nicht vorgesehen. Für Abrechnungen mit der PKV oder bei Selbstzahlern ist die Erfassung einer dokumentierten Diagnose nicht obligatorisch.

Am Ende eines stationären Aufenthalts ist bei GKV-Patienten gemäß § 301 SGB 5 V eine Diagnose als Hauptdiagnose zu definieren. Diese muss nicht mit dem Behandlungsanlass in der Notaufnahme identisch sein. Gemäß § 21 KHEntgG müssen diese Daten von allen stationären Patienten (einschließlich GUV und PKV) zusammengefasst und fallbezogen an das DRG-Institut (InEK) übermittelt werden. Nur bei GKV-Patienten ist eine Aufnahmediagnose gemäß § 301 SGB 5 V zu erfassen und mit der Aufnahmeanzeige an die zuständige Krankenkasse zu übermitteln. Bei GUV-Patienten erfolgt das mit dem Durchgangsarztbericht.

Die KVen können ambulante Behandlungen in einer Notaufnahme über deren Betriebsstättennummer direkt identifizieren. Ein Fachabteilungsschlüssel in stationären Daten für Notaufnahmen existiert nicht. Daher können gesetzliche Krankenkassen und das InEK die Behandlung von stationären Patienten in einer Krankenhausnotaufnahme nur indirekt über den Aufnahmeanlass und den Aufnahmegrund „Notfall“ abschätzen.

Diskussion: Im ambulanten Bereich ist bei GKV- und GUV-Fällen weder die Kennzeichnung einer führenden Diagnose, noch bei PKV-Fällen überhaupt eine Diagnosekodierung obligatorisch. Bei einem verunfallten ambulant behandelten Patienten wird unterschiedlich kodiert, je nachdem ob es sich um einen Unfall in der Freizeit (GKV – mit Zusatzkennzeichen) oder einen Wegeunfall (GUV – ohne Zusatzkennzeichen) handelt. Diagnosen im Rahmen der KV-Abrechnung mit dem Zusatzkennzeichen „A“ stellen eine Besonderheit dar. Sie sagen eher etwas über eine durchgeführte Diagnostik als über eine tatsächliche Diagnose aus (z.B. ICD-Diagnose „I61“ mit Zusatzkennzeichen „A“ als Hinweis auf eine craniale Computertomographie zum Ausschluss einer intrazerebralen Blutung). Zusammengefasst ergeben sich erhebliche Limitationen bei diagnosebezogenen Analysen ambulanter Krankenhausfälle.

Aus Sicht der Datenhalter ist nur bei ambulanten GKV-Fällen eine Versorgung in der Notaufnahme direkt identifizierbar. Hinsichtlich der sekundären Fragestellung zeigt sich, dass Prävalenzschätzungen von Behandlungen in Notaufnahmen auf Basis von Sekundärdaten erschwert sind.

Praktische Implikationen: Eine Vereinheitlichung der Kodier-Anforderungen ist wünschenswert, scheint aber mittelfristig nicht umsetzbar. Krankenhausintern ist die Dokumentation einer kodierten „führenden Notaufnahmediagnose“ möglich. Diese Lösung wurde auch für das Notaufnahmeregister AKTIN (Förderkennzeichen BMBF: 01KX1319A) gewählt und für den Austausch elektronischer Dokumente technisch umgesetzt. Damit wird es möglich, die aktuelle politische Diskussion um die Notfallversorgung mit konkreten versorgungsepidemiologischen Analysen zu fundieren.