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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Folgekomplikationen und Folgeschädigungen bei Typ-1-Diabetes – Entwicklung der Prävalenz und Inzidenz bei Patienten im DMP Nordrhein

Meeting Abstract

  • Sabine Groos - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Köln, Germany
  • Christine Macare - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin, Germany
  • Jens Kretschmann - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin, Germany
  • Arne Weber - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin, Germany
  • Bernd Hagen - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Köln, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP011

doi: 10.3205/17dkvf274, urn:nbn:de:0183-17dkvf2745

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Groos et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Patienten mit Diabetes mellitus sind häufig von Spätkomplikationen wie Retino-, Nephro- und Neuropathien mit den Endpunkten Erblindung, terminales Nierenversagen und Amputation betroffen. Sie erfahren somit sowohl durch ihre Grunderkrankung sowie durch die Folgekomplikationen massive Einschränkungen ihrer Lebensqualität und -dauer.

Fragestellung: Die folgenden Fragen sollen beantwortet werden: Wie hoch sind die aktuellen Prävalenzen der Folgekomplikationen und -schädigungen bei Patienten im Disease Management Programm (DMP) Diabetes mellitus Typ 1? Wie haben sie sich seit DMP-Beginn entwickelt? Wie hoch sind die Inzidenzen in Abhängigkeit von der Einschreibekohorte? Welche Risikofaktoren lassen sich für das Neuauftreten von Folgekomplikationen ermitteln?

Methode: Als Datengrundlage dienen die Dokumentationen von 37.979 Patienten, die jemals zwischen 2006 und 2016 am DMP Diabetes mellitus Typ 1 in Nordrhein teilnahmen. Die Entwicklung der Prävalenzen der diabetischen Folgekomplikationen Neuro-, Nephro- und Retinopathie bzw. der Folgeschädigungen Amputation, terminales Nierenversagen und Erblindung im DMP-Zeitverlauf wird deskriptiv statistisch analysiert. Auch werden die Inzidenzen in Abhängigkeit von den Einschreibekohorten dargestellt. Einschreibekohorten werden definiert als Gruppen derjenigen Patienten, die im gleichen Jahr mit der DMP-Teilnahme begannen. Zusätzlich werden in multivariaten logistischen Regressionsmodellen die Risiken für das Neuauftreten der drei Folgekomplikationen in Abhängigkeit von der Einschreibekohorte ermittelt.

Ergebnisse: Bei den im Jahr 2016 im DMP betreuten erwachsenen Patienten (n = 23.986) ist für 23,3 % eine Neuropathie, für 11,9 % eine Nephropathie und für 18,0 % eine Retinopathie dokumentiert. Eine Amputation ist bei 0,2 % dokumentiert, terminales Nierenversagen bei 0,4 % und eine Erblindung bei 0,1 %.

Die Zunahme der Prävalenzen der Folgekomplikationen im Laufe der DMP-Teilnahme ist am stärksten für Nephropathien zu beobachten (2006: 8,8 % vs. 2016: 11,9 %). Hingegen sind die Prävalenzen der Folgeschädigungen Amputation, terminales Nierenversagen und Erblindung im DMP-Verlauf rückläufig. Der deutlichste Rückgang lässt sich hinsichtlich der Amputationen verzeichnen (2006: 0,7 % vs. 2016: 0,2 %).

Betrachtet man das Neuauftreten von Folgekomplikationen innerhalb der ersten beiden Jahre der DMP-Teilnahme in Abhängigkeit von der Einschreibekohorte, so sind die späteren Kohorten seltener von Retinopathien betroffen als die früheren Kohorten (2006: 109/1.000 PJ vs. 2014: 39/1.000 PJ). Für das Neuauftreten von Neuropathien bzw. Nephropathien lässt sich kein solch eindeutiger Trend darstellen.

Auch bei der Betrachtung des Neuauftretens der Folgeschädigungen Amputation, terminales Nierenversagen und Erblindung lässt sich kein eindeutiger Zeiteffekt konstatieren; hier kommt es aufgrund der geringen Fallzahlen zu deutlichen Schwankungen.

Im Regressionsmodell für das Neuauftreten einer Retinopathie innerhalb der ersten beiden Jahre im DMP reduziert sich das Risiko deutlich in Abhängigkeit von der Einschreibekohorte; die in den Jahren 2013/14 Eingeschriebenen haben ein um 71 % reduziertes Risiko im Vergleich zu den im Jahr 2006 Eingeschriebenen. Als stärkster risikoerhöhender Prädiktor erweist sich das Alter (OR bis zu 1,79; CI 1,55-2,07). Auch bei erhöhten HbA1c- (1,22; 1,11-1,35) bzw. systolischen Blutdruckwerten (1,24; 1,12-1,38) sowie bei Vorliegen einer kardio-vaskulären Begleiterkrankung (1,79; 1,52-2,10) steigt das Risiko.

Die Regressionsmodelle zum Neuauftreten von Neuropathien bzw. Nephropathien zeigen keinen eindeutigen Effekt für die Einschreibekohorten.

Diskussion: Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich der Prävalenz der Folgekomplikationen eine Zunahme sowie hinsichtlich der Prävalenz der Folgeschädigungen eine Abnahme im DMP-Zeitverlauf konstatieren. Ebenso nimmt die Inzidenz der Retinopathien in Abhängigkeit von der Einschreibekohorte ab. Die Einschätzung dieser Trends wird jedoch erschwert durch das Ausscheiden von Patienten aus dem DMP bzw. die unterschiedliche Zusammensetzung der Einschreibekohorten. Limitiert werden die Aussagen außerdem durch die in der DMP-Dokumentation fehlenden Angaben zur Erkrankungsdauer. Das Regressionsmodell legt jedoch nahe, dass das Risiko für eine neu auftretende Retinopathie in Abhängigkeit von der Einschreibekohorte sinkt, d.h. dass unter Kontrolle von anderen Einflussfaktoren das Risiko bei den später Eingeschriebenen niedriger ist.

Praktische Implikationen: Die Daten aus dem DMP Diabetes mellitus Typ 1 deuten auf einen möglichen Rückgang des Risikos für das Neuauftreten von Retinopathien innerhalb des Zeitraumes 2006 bis 2014 hin.