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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Gemeinsam sind wir stark!? Erfahrungen mit einem integrativen, quartiersbezogenen Versorgungsmodell

Meeting Abstract

  • Hans W. Höpp - iEVF, Köln, Germany
  • Michaela Neff - iEVF, Köln, Germany
  • Antje Hammer - Institut für Patientensicherheit, Bonn, Germany
  • Marcus Wähner - HerzNetzCenter GmbH, Köln, Germany
  • Roman Pfister - Herzzentrum Uniklinik Köln, Köln, Germany
  • Christian A. Schneider - HerzNetzCenter GmbH, Köln, Germany
  • Holger Pfaff - Humanwissenschaftliche Fakultät und Medizinische Fakultät der Universität zu Köln, Köln, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP004

doi: 10.3205/17dkvf267, urn:nbn:de:0183-17dkvf2673

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Höpp et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Demografische Entwicklung, soziale Gerechtigkeit und Migration stellen die Bundesrepublik und deren Sozialsysteme vor enorme Herausforderungen. Umso erstaunlicher ist das Fehlen etablierter Koordinationsstrukturen zwischen den in der Regel hoch leistungsfähigen Einzelsektoren. Vor diesem Hintergrund: hatte die vorliegende Arbeit zum Ziel, erstmals die Entwicklung, Erprobung und Implementierung eines sektorenübergreifenden, sozialraumbezogenen Koordinationsmodells sozialer und gesundheitlicher Versorgung im kommunalen Kontext zu beschreiben.

Fragestellung: Im Mittelpunkt des EU- und landesministeriell geförderten Projektes standen dabei drei Fragen:

  • Mit welcher nichtkompetitiven Struktur und Funktionalität ist die bürger/patient*innenbezogene Kommunikation und Kooperation der im Quartier vorhandenen sozialen und gesundheitlichen Versorgungsebenen und -akteure zu gestalten bzw. zu optimieren?
  • Ist ein solch integratives Sozialraumprojekt grundsätzlich realisierbar?
  • Welche Effekte sind in der praktischen Erprobungsphase zu beobachten?

Methode: Entwicklung und Erprobung des integrativen Sozialraumkonzeptes folgen als komplexe Intervention den Empfehlungen des Medical Research Council. Dabei beinhaltete die Konzeptentwicklung neben der Literaturrecherche die gezielte Sozialraumanalyse sowie die Initiierung von Fokusgruppen mit der Stadt, Betroffenen und Akteuren vor Ort zur Identifikation von Versorgungshürden und der Erarbeitung interoperativer Lösungsansätze. Das konsentierte Konzept wurde anschließend in einem Stadtteil mit 16.000 Einwohnern über 6 Monate, in einem zweiten mit 23.000 Einwohnern über 15 Monate in der konkreten Alltagspraxis erprobt.

Beide Phasen und deren Deskription bedienten sich qualitativer und quantitativer Methodik. Im Fokus der Entwicklung standen die Kriterien Relevanz, Akzeptanz und theoretische Machbarkeit. Bei der Erprobung wurden neben der praktischen Umsetzbarkeit die konkrete Kooperation und Inanspruchnahme, die Erfolgsquote beim Erreichen des mit dem/r Klienten/in vereinbarten Ziels sowie die Klientenzufriedenheit erhoben.

Ergebnisse: Für die Bundesrepublik liegen keine praktischen und international publizierten Erfahrungen mit Integrationsmodellen vor, die neben der gesundheitlichen systematisch auch die soziale Versorgung einbeziehen. Im Rahmen des Projektes konnte die grundsätzliche Notwendigkeit einer Koordination an der Schnittstelle, deren Machbarkeit sowie deren Akzeptanz seitens der Bürger*innen belegt werden. So erfolgten seitens des von einem Koordinationsbüro heraus tätigen Case Managements in der Erprobungsphase 4.415 fallbezogene Kontakte zu Akteuren im gesundheitlichen und sozialen Bereich, die u.a. zur Etablierung eines die Arbeit des Stützpunktes begleitenden Quartierszirkels führten. Gleichzeitig wurden 1.303 direkte Anfragen von Bürger/Patien*innen bearbeitet, davon knapp die Hälfte mit medizinischem Schwerpunkt und etwa ein Drittel mit komplexerem Unterstützungsbedarf (Koordination beim „Hilfemix“, konkretes Fallmanagement). Die im Erstgespräch mit den Klienten abgestimmten Ziele konnten in 88% der Fälle erreicht werden. Die Klientenzufriedenheit mit der koordinativen Unterstützung erwies sich als hoch (94% zufrieden oder sehr zufrieden).

Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass der konsequenten Weiterführung modellhaft erprobter Ansätze derzeit hohe systemimmanente Widerstände in Politik, Unternehmen, Verbänden und bei Selbstständigen entgegenstehen und auch konkrete Positiverfahrungen die Innovationsbarrieren nur bedingt reduzieren.

Diskussion: Das integrative Versorgungskonzept hat sich insgesamt als im Ansatz sinnvoll, machbar und erfolgreich erwiesen. Dennoch ist die Diskrepanz zwischen theoretisch zugestandenen Defiziten konventioneller Versorgung und dem konkreten Engagement der etablierten Akteure bei der Umsetzung eines sozialraumbezogenen Koordinationskonzeptes eine derzeit noch kaum zu überwindende Herausforderung. Dies ist umso bedauerlicher, als sich die erhobenen Bedarfe und die gelebte Akzeptanz der Bürger*innen in dieser Haltung nicht wiederspiegeln.

Praktische Implikationen: Die bei Entwicklung und Erprobung eines integrativen, quartiersbezogenen Versorgungsmodells gewonnenen Erfahrungen sollen konkrete Hilfestellung sein bei vergleichbaren Vorhaben und die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der bestehenden Versorgungssystematiken sowie die Notwendigkeit sektoren- und branchenübergreifender Ansätze befördern. Gleichzeitig resultiert aus diesen heraus die Forderung v.a. an die kommunalen Gebietskörperschaften, Koordinationsmodelle im Sinne eines integrativen Sozialraummanagements zukünftig nachhaltig zu unterstützen.