gms | German Medical Science

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Einfluss auf die Entwicklung der Verordnungshäufigkeit kombinierter hormonaler Kontrazeptiva durch Referralverfahren und Auflagen an die Hersteller. Eine Analyse auf bundesweiten Krankenkassendaten für den Zeitraum 01/2011 bis 10/2015

Meeting Abstract

  • Iva Selke Krulichová - Med. Fak. Karls-Universität Prag in Hradec Králové, Prag, Czech Republic
  • Gisbert Selke - Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin, Germany
  • Veronika Lappe - PMV forschungsgruppe, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln, Köln, Germany
  • Uwe Eichler - Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin, Germany
  • Ingrid Schubert - PMV forschungsgruppe, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln, Köln, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP101

doi: 10.3205/17dkvf260, urn:nbn:de:0183-17dkvf2602

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Krulichová et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Hormonale Kontrazeptiva sind seit den 1960er Jahren verfügbar und bestehen in der Regel aus einem Östrogen und einem Gestagen (= kombinierte hormonale Kontrazeptiva – combined hormonal contraceptives, CHC). Änderungen in der Zusammensetzung wurden mit dem Ziel vorgenommen, Nebenwirkungen, insbesondere kardiovaskuläre und thromboembolische Ereignisse (VTE) zu verringern. Da verschiedene Studien jedoch bei neueren Kombinationen (3./4. Generation) erhöhte Risiken zeigten, wurde auf Initiative der französischen Arzneimittelbehörde ein europäisches Risikobewertungsverfahren (Referralverfahren) eingeleitet. Hierbei wurde das erhöhte Risiko für die Gestagene der 3. Generation sowie für Drospirenon bestätigt, für Chlormadinon, Dienogest und Nomegestrol konnten aufgrund der vorliegenden Daten keine Aussagen getroffen werden. Die Hersteller der CHC der 3. und 4. Generation erhielten die Auflage, auf die Risiken in der Packungsbeilage hinzuweisen. Erwartet wurde ein Rückgang in der Verordnungshäufigkeit dieser Präparate. Inzwischen wird eine Einteilung in Risikoklassen vorgenommen. Die im Referral genannten CHC entfallen auf die Risikoklasse I (Norgestimat), III (Desogestrel, Gestoden, Drospirenon) und X (Nomegestrol, Chlormadinon, Dienogest). Risikoklasse III weist ein höheres VTE-Risiko als Klasse I auf. Für die Risikoklasse X liegt noch keine abschließende Bewertung zum VTE-Risiko vor.

Fragestellung: Führte das Referralverfahren und der darauf folgenden Umsetzungsbeschluss zu einer Änderung in der Verordnungsweise der CHC?

Material und Methode: Daten: bundesweite anonymisierte Versichertendaten der AOK (Actrapid®). (1,1 Millionen Frauen,. 10 bis unter 20 Jahre; Erstattung der Kontrazeptiva nur bis zum vollendeten 20. Lebensjahr).

Die Analyse erfolgt für die folgenden vier Phasen:

  • A 01.01.2011-31.12.2012: Interventionsfreie Phase
  • B 01.01.2013-31.12.2013: Referral-Phase
  • C 01.01.2014-31.12.2014: Umsetzung der Auflagen der Europäischen Arzneimittelbehörde
  • D 01.01.2015-31.10.2015: Nachbeobachtungsphase

Die Daten wurden mittels deskriptiver Statistik beschrieben. Für die Auswirkung der Interventionen wurden Zeitreihen mit auf ARIMA beruhenden Modellen untersucht und mögliche Einflussfaktoren durch logistische Regression bewertet. Für die statistische Analyse wurden NCSS 9 und R3.3.2 benutzt

Ergebnisse: Der Anteil der CHC- Empfängerinnen mit Risikoklasse I an allen CHC-Empf. nimmt von 2011 bis 2013 und danach nochmals ab 2014 deutlich zu (+11%), hingegen zeigt der Anteil derer mit Risikoklasse III an allen CHC-Empfängerinnen seit Beginn der Beobachtung einen kontinuierlichen Rückgang (–64%). Der Anteil der Empfängerinnen mit Risikoklasse X zeigt ebenfalls eine deutliche Zunahme (+54%). Die Analyse für den zeitlichen Trend weist für die Risikoklasse III im ersten Monat der Referral-Phase einen gegenüber dem Vormonat signifikanten Rückgang auf. Es konnte nachgewiesen werden, dass der schon bestehende Rückgang noch durch das Referralverfahren (hier als Einflussfaktor betrachtet) etwas verstärkt wird. Die zweite hier betrachtete Intervention (die Umsetzung der Auflagen in der Packungsbeilage) zeigte auf den Verbrauch keinen statistisch signifikanten Effekt. Für die Präparate der Risikoklasse X zeigt sich ein geringer, jedoch statistisch signifikanter Effekt des Referralverfahrens auf die Verbrauchsentwicklung – allerdings gegenteilig, d. h. durch das Referral stieg die Verordnung stärker als zuvor. Wie bei Risikoklasse III kann kein Effekt des Umsetzungsverfahrens gezeigt werden.

Diskussion: Die Fragestellung wurde in verschiedenen Ländern mit divergierenden Ergebnissen untersucht. Der vor Beginn des Referrals zu beobachtende Rückgang lässt sich mit der schon zuvor bestehenden Diskussion zur Sicherheit der CHC erklären. Vor diesem Hintergrund sind durch das Einleiten des Referrals wie auch durch die Umsetzung der Empfehlungen keine „schlagartigen“ Änderungen zu erwarten. Dennoch konnte gezeigt werden, dass bei Risikoklasse III (hier findet sich ein Teil der Wirkstoffe der 3. Generation) der schon bestehende Rückgang der Verordnung durch das Referral noch etwas verstärkt wurde. Umgekehrt wurde der schon vor dem Referralverfahren zu beobachtende Verordnungsanstieg der CHC der Risikoklasse X noch verstärkt, was nicht intendiert war. Dass ein eigener Effekt der zweiten Intervention (Umsetzung der Auflagen) statistisch nicht erbracht werden kann, ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass diese Intervention relativ schnell auf die erste folgte.

Praktische Implikationen: Mittels Routinedaten lassen sich Impactanalysen durchführen, jedoch sind nur indirekt Rückschlüsse auf einen Zusammenhang zwischen Anlass und Änderung der Verordnungsweise möglich, da andere Einflussfaktoren nicht erfasst werden können. Dennoch ist ein Monitoring der Verordnungsweise als Feedback auf ordnungspolitische Maßnahmen zu empfehlen.

Die Studie wurde vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukt gefördert (Förderkennzeichen V16770/68605/2016-2017)