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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Enhanced Recovery after Intensive Care – ERIC

Meeting Abstract

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  • Alexander Geissler - TU Berlin, Berlin, Germany
  • Elke Berger - Technische Universität Berlin, Berlin, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP241

doi: 10.3205/17dkvf187, urn:nbn:de:0183-17dkvf1878

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Geissler et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: In Deutschland werden jährlich mehr als zwei Millionen Patienten intensivmedizinisch behandelt und über 400.000 davon beatmet. Zusätzlich werden allein in Berlin/Brandenburg über 2000 Patienten pro Jahr außerklinisch beatmet. Neben einer andauernden Abhängigkeit vom Respirator kommt es zu funktionellen, kognitiven und psychischen Langzeitschäden. So zeigen 40% der Patienten 3 Monate nach der Beatmung signifikante kognitive Schäden von denen die Hälfte in der Ausprägung mit einer milden Alzheimer Demenz vergleichbar ist. Beim überwiegenden Teil der Patienten sind diese Schäden auch nach einem Jahr noch vorhanden. Angststörungen treten bei etwa der Hälfte der Patienten auf und circa ein Viertel erleidet eine posttraumatische Belastungsstörung. Bei Entlassung von der Intensivstation ist ein Großteil der Patienten von einer schweren Muskelschwäche betroffen, die auch nach Jahren bestehen bleibt und die Gehstrecke der Patienten einschränkt. Zusammen werden diese Schäden als Post-Intensive Care Syndrome (PICS) beschrieben.

Fragestellung: Mit dem Ziel die Versorgung in der Intensivmedizin über das reine Überleben der Patienten hinaus zu verbessern und damit Langzeitschäden wie PICS zu verringern, wurden evidenzbasierte Qualitätsindikatoren (QIs) unter Beteiligung der relevanten medizinischen Fachgesellschaften entwickelt. Deren Anwendung ist bisher jedoch weder umfänglich noch flächendeckend zu beobachten.

Das zentrale Ziel von ERIC ist es, die Adhärenz und den Einsatz der QIs zu stärken um Langzeitfolgen zu vermeiden und das adäquate Ausschöpfen eines rehabilitativen Potentials der Patienten zu gewährleisten.

Methode: Die Implementierung QIs in der Akutphase wird dabei durch eine telemedizinische Plattform unterstützt (innersektorale Modifikation). Anschließend wird ein Case-Care Management eingesetzt, das den Patienten in der anschließenden Behandlung nachverfolgt, um die Überleitung in die optimale Versorgungsstruktur zu ermöglichen bevor Langzeitschäden eintreten (intersektorale Modifikation).

Die Intervention der telemedizinischen Plattform erfolgt Cluster-randomisiert in 12 Einrichtungen. Es wird eine Fallzahl von über 2000 Patienten innerhalb eines Jahres sowie eine äquivalente Verteilung in Kontroll- und Interventionsgruppe angestrebt. Die Intervention besteht aus einer täglichen telemedizinischen QI-Visite der in die Versorgungsform eingeschlossenen Patienten. Vorgeschaltet wird ein Personalqualifizierungs- und Entwicklungskonzept, welches die Nutzung der Plattform ermöglicht sowie Multiplikatorenteams hinsichtlich der QIs weiterbildet.

Das Evaluationskonzept der Studie verwendet eine stepped wedge Cluster-Randomisierung der 12 Einrichtungen auf insgesamt 3 Cluster (4 Institutionen pro Cluster). Pro Cluster wird es eine gestaffelte Einführung der Intervention geben: Cluster 1 wird im dritten Monat, Cluster 2 im sechsten Monat und Cluster 3 wird im neunten Monat des Projektes die Intervention implementieren. Dies erlaubt einerseits einen Vergleich innerhalb der Einrichtung (Kontrollierte Vorher-Nachher Vergleiche) aber auch Vergleiche zwischen den Institutionen und deren Status vor und nach der Intervention stratifiziert nach den Quartalen der Interventionseinführung. In diesem Design besitzt jede Einrichtung die eigene Kontroll- und Interventionspopulation. Da drei Cluster parallel nebeneinander laufen, kann in drei von 4 Quartalen auch ein interinstitutioneller Vergleich durchgeführt werden.

Ergebnisse: Als primärer Endpunkt wird die Veränderung der Einhaltung der QI betrachtet. Je Patient wird pro Tag die Einhaltung jedes dieser Indizes registriert (0-nicht erfüllt, 1-erfüllt) wodurch sich pro Institution und Tag für jeden QI dessen prozentuale Einhaltung berechnen lässt. Es soll nachgewiesen werden, dass durch die Intervention eine Verbesserung um mindestens 10% der QI-Erfüllung erreicht wird. Weiterhin soll belegt werden, dass nach der Intervention eine QI-Erfüllungsrate von mindestens 70% erreicht wird. Die formale Durchführung der Analyse erfolgt mittels Generalised Estimation Equation (GEE). Diese Methodik erlaubt die Berücksichtigung von Clustern über die Zeit sowie zeitlicher Korrelationsstrukturen. Zudem erlaubt es die zeitlich variable Modellierung der Intervention.

Diskussion/Praktische Implikationen: Als eines der ersten Projekte der “Neuen Versorgungsformen” des Innovationsausschusses wurde es als evidenzbasiert und regional umsetzbar bewertet. Das Evaluationskonzept ist robust und mit Klinikern, Biometrikern und Gesundheitsökonomen entwickelt worden. Es erlaubt eine umfassende Bewertung aus Patientensicht, klinischer Sicht und ökonomischer Sicht nach drei Jahren. Im Erfolgsfall kann ERIC in die flächendeckende Versorgung übergehen. Das Umsetzungspotenzial sollte jedoch mehrschichtig betrachtet werden: Es ist erstens von den Ergebnissen des Projektes abhängig, zweitens vom Willen aller beteiligten Akteure und drittens abhängig von den zukünftigen politischen Rahmenbedingungen.