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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Kombination einer nicht-medikamentösen Aktivierungsmaßnahme für Menschen mit Demenz in der Tagespflege mit einer kurzfristigen telefonischen Angehörigenintervention -Erste Ergebnisse der Deutschen Tagespflege-Studie

Meeting Abstract

  • Elisa-Marie Behrndt - Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung, Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Germany
  • Melanie Straubmeier - Erlangen, Germany
  • Katharina Luttenberger - Erlangen, Germany
  • Larissa Schwarzkopf - München, Germany
  • Elmar Gräßel - Erlangen, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV094

doi: 10.3205/17dkvf162, urn:nbn:de:0183-17dkvf1621

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Behrndt et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Das Modellprojekt „DeTaMAKS“ evaluiert eine Mehrkomponenten-Aktivierungstherapie für Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) oder leichter bis mittelschwerer Demenz in der Tagespflege, die bereits in Pflegeheimen erprobt wurde. „MAKS“ umfasst täglich spezifische motorische, alltagspraktische und kognitive Übungsmodule in der Gruppe (soziale Interaktion). Kombiniert wurde die Aktivierungstherapie mit einer dreimaligen, aufsuchenden telefongestützten Angehörigenberatung.

Fragestellung: Untersucht wurde, ob die Intervention die kognitiven und alltagspraktischen Fähigkeiten der Tagespflege-Gäste bzw. das Wohlbefinden und die subjektive Belastung der pflegenden Angehörigen im Vergleich zur Kontrollgruppe, die die übliche Versorgung durch die Tagespflege (Treatment as Usual, TAU) erhält, positiv beeinflusst.

Methode: Die clusterrandomisierte, kontrollierte prospektive Verlaufsstudie, wurde in 32 Tagespflegeeinrichtungen in Deutschland mit einem sechsmonatigen Interventionszeitraum durchgeführt. Zu Beginn der Studie und am Ende der Interventionsphase wurden die Zielgrößen alltagspraktische Fähigkeiten (Erlangen test of activities of daily living in persons with mild dementia or mild cognitive impairment, ETAM) und Kognition (Mini-Mental State Examination, MMSE) bei Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung sowie subjektive Belastung (Häusliche Pflege-Skala Kurzversion, HPS-K) und Wohlbefinden (Well-Being Index, WHO-5) auf Seiten der pflegenden Angehörigen erfasst. Die Auswertung erfolgte mittels multipler linearer Regressionsanalysen mit Ausprägung der oben genannten Zielgrößen zu Beobachtungsende als abhängige Variable und Ausprägung der Zielgrößen zu Beobachtungsbeginn, Gruppenzugehörigkeit, Besuchshäufigkeit in der Tagespflege, Alter und Geschlecht als unabhängige Variablen. Zudem wurde der Einfluss der Einnahme von Antidementiva bei den Tagespflege-Gast-Auswertungen und der Einfluss anderer Entlastungsangebote, anderer Beratungsangebote und die alleinige Verantwortung für die Pflege auf Seite der pflegenden Angehörigen berücksichtigt.

Ergebnisse: Die Regressionsanalysen der Tagespflege-Gast -Zielgrößen zeigen, dass neben der Kovariaten „Ausgangswert der abhängigen Variable“ (b=.942, p<.001) nur die „Interventions- vs. Kontrollgruppe“ (p<.05) einen signifikanten Einfluss (MMSE: Δ1.1 [0.3, 2.0]; ETAM: Δ1.2 [0.2, 2.2]) im Sechs-Monats-Zeitraum hat. Auf Seite der pflegenden Angehörigen zeigt sich, dass der Ausgangswert der jeweils abhängigen Variable der einzige signifikante Prädiktor (p<0.001) für Veränderungen der primären Zielgrößen nach 6 Monaten ist. In einer Sensitivitätsanalyse untersuchten wir solche Fälle, in denen in den letzten 6 Monaten kein besonderes negatives oder positives Einzelereignis vorgefallen war. Dies sind Ereignisse, die subjektive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Pflegeperson haben wie (z.B. eigene Erkrankung/Unfall oder Erkrankung/Unfall von Familie/Freunden, allgemeine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Person mit Pflegebedarf oder z.B. Geburt/ Hochzeit). Bei diesen Fällen (n=271), war die Gruppenzugehörigkeit (p<0.05), neben dem Ausgangswert der Zielgröße (p<0.001), der einzige signifikante Prädiktor für beide Zielgrößen (HPS-K: Δ-1.3, [-2.3, -0.3]; WHO-5: Δ1.4, [0.3, 2.5]). Die Effektstärken waren am größten in der Subgruppe von pflegenden Angehörigen von Menschen mit leichter Demenz (HPS-K: Cohen’s d=-0.43; WHO-5: Cohen’s d=0.42).

Diskussion: Die standardisierte, nicht-medikamentöse MAKS-Therapie für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung kann alltagspraktische und kognitive Fähigkeiten innerhalb des 6-monatigen Erhebungszeitraums stabilisieren. Vor dem Hintergrund der bisherigen Datenlage zum unbehandelten Verlauf von Demenz wird dieses Ergebnis von der bisherigen Literatur gestützt. Zudem wirkt schon eine gering dosierte telefonische Kurzintervention für pflegende Angehörige hinsichtlich Wohlbefinden und subjektiver Belastung, wenn die Überlagerung des Interventionseffektes durch subjektiv besondere Ereignisse berücksichtigt wird. Die vorliegenden Daten wurden unmittelbar in der Versorgungsrealität gewonnen, daher ist von einer hohen Generalisierbarkeit der Ergebnisse auszugehen.

Praktische Implikationen: Die Voraussetzungen für eine Implementierung der effektiven multimodalen Gruppenintervention „MAKS“ sind durch die Nutzung bestehender Versorgungsstrukturen, der vorhandenen Manualisierung und dem geringen Mehraufwand für Tagespflegen (nur eine Schulung von bereits vorhandenem Fachpersonal) gewährleistet. Es empfiehlt sich eine frühzeitige telefonische Angehörigenintervention, da die Effekte bei leichter Demenz wesentlich größer sind als bei mittelschwerer Demenz. Die Tagespflege ist ein idealer Ort, um sowohl Menschen mit Pflegebedarf als auch ihre pflegenden Angehörigen erreichen und unterstützen zu können.