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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Triple-Therapie bei Patienten mit Vorhofflimmern und akutem Koronarsyndrom: Versorgungsrealität versus leitliniengerechter Therapie – Daten eines lokalen Registers

Meeting Abstract

  • Ilja Jacob - Charite Universitaetsmedizin Berlin, Berlin, Germany
  • Birga Maier - Berliner Herzinfarktregister an TU Berlin, Berlin, Germany
  • Leonhard Bruch - Unfallkrankenhaus Berlin, Berlin, Germany
  • Ralph Schoeller - Berliner Herzinfarktregister an TU Berlin, Berlin, Germany
  • Helmut Schühlen - Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum, Berlin, Germany
  • Martin Stockburger - Klinik Nauen, Nauen, Germany
  • Heinz Theres - Medical Park Humboldtmühle in Berlin, Berlin, Germany
  • Steffen Behrens - Vivantes Humboldt-Klinikum, Berlin, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV009

doi: 10.3205/17dkvf146, urn:nbn:de:0183-17dkvf1469

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Jacob et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) und akutem Koronarsyndrom (ACS) haben ein hohes Risiko für einen Schlaganfall und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko. Leitlinien empfehlen für VHF/ACS-Patienten eine Dreifachkombination (Triple-Therapie) blutgerinnungshemmender Mittel zur Schlaganfallprophylaxe und zur Verhinderung eines Stent Verschluss. Diese Triple-Therapie besitzt ein hohes Blutungsrisiko, so dass Unsicherheiten in der Behandlung bestehen.

Fragestellung: Wie häufig und in Abhängigkeit welcher Entscheidungsdeterminanten erfolgte eine Triple-Therapie bei für diese Therapie indizierten VHF/ACS-Patienten in den Jahren 2010-2014 in Berlin?

Methodik: Vom 1.1.10 - 31.12.14 wurden 1348 Patienten mit Herzinfarkt und VHF und eindeutiger Indikation für eine Triple-Therapie in unser Register eingeschlossen. Für diese Patienten wurden erhoben: Art des Vorhofflimmerns (erstmalig, paroxysmal, (lang) persistierend und permanent), Risiko CHA2DS2-VASc- und HAS-BLED-Scores, Pumpfunktion des linken Ventrikels und Entlassungsmedikation.

Datenauswertung: Deskriptiv erfolgte die Analyse von Verteilungseigenschaften. Wesentliche Variablen für die Entscheidung für oder gegen eine Triple-Therapie wurden mittels binär logistischer Regression untersucht. Primär erfolgten dabei univariate Analysen. Im Anschluss wurden signifikanten Variablen in ein logistisches Regressionsmodell eingeführt.

Ergebnisse: Es wurden die Daten von 1348 Patienten analysiert. Das mittlere Alter betrug 74,9 Jahre, der Anteil Frauen 36,6%. Komorbiditäten waren häufig: 30.4% Niereninsuffizienz, 43.0% Diabetes, 91.7% Hypertonus, 57.7% eingeschränkte Pumpfunktion des linken Ventrikels. In 37.6% der Fälle wurde paroxysmales VHF, in 25.4% erstmaliges VHF diagnostiziert. 1123 Patienten wurden invasiv mittels Koronarintervention und 225 konservativ behandelt.

Die Verordnung einer Triple-Therapie steigerte sich von 43% in 2010 auf 55.4% in 2014.

Im Ergebnis der logistischen Regression zeigte sich, dass die Chance eine Triple-Therapie zu erhalten größer war für nierengesunde im Vergleich zu nierenkranken Patienten (OR=1,4), für Patienten mit vorbestehendem im Vergleich zu erstmaligem VHF (OR=2,3), für invasiv im Vergleich zu konservativ behandelten Patienten (OR=8,0) und für Patienten mit eingeschränkter im Vergleich zu normaler Pumpfunktion des linken Ventrikels (OR=1,4 bei leicht eingeschränkt, OR=1,8 bei mittelgradig eingeschränkt, OR=1,6 bei schwer einegschränkt).

Diskussion: Ursächlich für die signifikant seltenere Verordnung einer Triple-Therapie bei VHF/ACS-Patienten mit Niereninsuffizienz, könnte das höhere Blutungsrisiko und die komplexere Steuerung bei diesen Patienten sein. In den Ergebnissen spiegelt sich auch die divergente Studienlage bezüglich der Bewertung der Art des VHF wider. So ist unklar, wie kurze, erstmalige VHF Episoden vor oder während eines Infarkts zu bewerten sind. Es könnte vermutet werden, dass Ärzte bei dieser Patientengruppe entgegen der Empfehlung zurückhaltender agieren, da sie die VHF Episode als Begleitumstand des Infarkts und nicht als eigenständige Erkrankung sehen. Bei eingeschränkter Pumpfunktion des linken Ventrikels scheint in Anbetracht des erhöhten thromboembolischen Risikos bei diesen Patienten eine Risikoabwägung zugunsten einer protektiveren Triple-Therapie erkennbar. Dahingegen wird insbesondere bei konservativem Therapievorgehen von der Empfehlung einer Triple-Therapie mit höherem Blutungsrisiko abgewichen, möglicherweise auch als Folge einer älteren und multimorbiden Patientengruppe.

Praktische Implikationen: Eine Adhärenz von 55% zur Leitlinienempfehlung sollte weitere Überlegungen zum Umgang mit der Situation nach sich ziehen. In Folgestudien sollte das Risikopotential der unterschiedlichen VHF Formen weiter untersucht werden. Dieses scheint insbesondere im Hinblick auf das erhöhte Blutungsrisiko bei Triple-Therapie sinnvoll, aber auch hinsichtlich Überlegungen, erhöhte Schlaganfall- und Mortalitätsraten bei VHF/ACS Patienten zu verhindern.

Mit den neuen VHF-Leitlinien aus dem Jahr 2016 wurde eine Double-Therapie mit zwei gerinnungshemmenden Substanzen in die Leitlinien aufgenommen, was zu einer Steigerung der Empfehlungsadhärenz führen dürfte.